Das neue Bundeskinderschutzgesetz: Änderungen – Herausforderungen – Klärungen

Das Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (BKiSchG) vom 22. Dezember 2011, in Kraft getreten zum 01. Januar 2012, wirbelt die seit Jahren erprobten Standards und Verfahren der öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe gehörig durcheinander. Allerorts sind Fragen und Unsicherheiten zu vernehmen, wie mit den Neuerungen umzugehen sei.
Dieser Beitrag soll einen ersten informatorischen Überblick ermöglichen, die aufgeworfenen Fragen bündeln und vielleicht schon ein paar Richtungen für die weitere Entwicklung der Fachpraxis skizzieren. Die Lektüre entbindet jedoch keinesfalls die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Jugendhilfeträger, sich persönlich des Gesetzestextes anzunehmen und die Bedeutung des Regelungsgehaltes für den je eigenen Arbeitsbereich zu hinterfragen und zu beantworten.

Zielsetzung

Das BKiSchG enthält programmatische Zielsetzungen, welche zuallererst der Optimierung eines präventiven und intervenierenden Kinderschutzes dienen. Damit soll die seit einigen Jahren die Fachszene beherrschende Diskussion Familie qua Rechtssetzung zu einem guten Ende gebracht werden. Darüber hinaus enthält das Gesetz den Anspruch, eine bundesweit gültige und einheitliche Befugnisnorm zur Information des Jugendamts durch verschiedene Berufsgruppen bei (drohenden) Kindeswohlgefährdungen zu definieren. Auch wenn die Einbeziehung des Gesundheitswesens in Entwicklung und Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens aus der Sicht der Jugendhilfe nicht zufrieden stellen kann, so sind zumindest eine strukturelle Vernetzung und eine bessere Kooperation im Einzelfall zwischen Jugendhilfe und Gesundheitssystem vorgesehen. Zudem enthält das BKiSchG auch Regelungen zu den fachlichen Handlungsleitlinien bei der Entwicklung von Qualitätskriterien, wobei die Rolle der Landesjugendämter gestärkt wird. Die explizite Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und ihr Schutz vor Gewalt in Einrichtungen runden gemeinsam mit den Zuständigkeitsregelungen das Gesamtbild der Intention einer Sicherstellung des Kinderschutzes ab. Dabei ist jedoch allen Beteiligten klar: Eine hundertprozentige Sicherheit wird und kann es nicht geben. Aber wir sind alle gefordert, gemeinsam unser Möglichstes zu tun, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen aktiv zu sichern.

Aufbau und Struktur

Das BKiSchG ist ein Artikelgesetz, welches neben einem eigenen Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) in Artikel 1 weitere Änderungen und Vorschriften nach folgender Gliederung enthält:
Artikel 1: Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)
Artikel 2: Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch
Artikel 3: Änderungen anderer Gesetze
Artikel 4: Evaluation
Artikel 5: Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch
Artikel 6: Inkrafttreten

Der Artikel 1, das gesamte Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG), enthält folgende Paragraphen:
§ 1: Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung
§ 2: Information der Eltern über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung
§ 3: Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
§ 4: Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung

Der Eingangsparagraph enthält die Zielsetzungen des Gesetzes, also das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung zu fördern. Dabei greift es auf den Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes zurück. Es definiert die Aufgaben des staatlichen Wächteramtes zur Unterstützung von Eltern in der Gefahrenvorsorge und -abwehr. Darüber hinaus enthält es eine Definition der Frühen Hilfen: „Kern ist die Vorhaltung eines möglichst frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Angebots in Hinblick auf die Entwicklung von Kindern vor allem in den ersten Lebensjahren für Mütter und Väter sowie schwangere Frauen und werdende Väter.“ (§ 1 Abs. 4 KKG)

Der § 2 verpflichtet im Regelfall die örtlichen Jugendhilfeträger zur Information für (werdende) Eltern über örtliche Leistungsangebote zu Beratung und Hilfe in Fragen der Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung von Kindern in den ersten Lebensjahren. Hierzu kann den Eltern ein persönliches Gespräch angeboten werden, auf deren Wunsch hin auch in ihrer eigenen Wohnung.

Der Aufbau und die Weiterentwicklung flächendeckender verbindlicher Strukturen zur Zusammenarbeit der zuständigen Leistungsträger und Institutionen im Kinderschutz ist der Inhalt des § 3 KKG. In Vereinbarungen organisiert üblicherweise der örtliche öffentliche Jugendhilfeträger die Grundsätze einer verbindlichen Zusammenarbeit, möglichst im Rahmen bereits vorhandener Strukturen. Dabei ist auch der Einsatz von Familienhebammen geregelt, der durch den Bund auf Dauer finanziell unterstützt wird.

Der Inhalt des § 4 KKG regelt die Befugnis von Ärztinnen, Hebammen, Psychologinnen, Ehe-, Familien-, Erziehungs-, Jugend- und Suchtberaterinnen, Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen und Mitarbeiterinnen anerkannter Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen – sowie bei allen auch der männlichen Kollegen – das Jugendamt über gewichtige Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung zu informieren und die entsprechenden Daten zu übermitteln. Zuvor haben die Angehörigen dieser Berufsgruppen nach Möglichkeit jedoch die Situation mit den Personensorgeberechtigten und dem jungen Menschen zu erörtern und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken. Hierzu und zur Gefährdungseinschätzung haben sie Anspruch auf die Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft des Jugendamtes. Auf landesrechtlicher Ebene besteht durch Art. 14 GDVG für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen bereits seit Mai 2008 eine Verpflichtung zur Datenübermittlung. Hier wurde und wird die neu geschaffene bundesgesetzliche Befugnisnorm, übrigens mit Zustimmung der Ärzteverbände, mit Nachdruck konkretisiert.

Der Artikel 2 befasst sich mit den Änderungen und Neuerungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII). Als wesentliche Änderungen sind hier anzuführen:

  • § 8 SGB VIII: Schaffung eines eigenständigen Anspruchs von Kindern und Jugendlichen auf Beratung ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten aufgrund einer Not- und Konfliktlage.
  • § 8a SGB VIII: Eine Einschätzung des Gefährdungsrisikos erfolgt im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte, im Regelfall gemeinsam mit dem Kind oder Jugendlichen und seinen Erziehungsberechtigten und im Rahmen eines Hausbesuches. Dadurch soll ein unmittelbarer Eindruck vom Kind und seiner persönlichen Umgebung sichergestellt werden. Mit den freien Trägern sind hierüber und über die Qualifikation der hinzuzuziehenden Beratungsfachkräfte Vereinbarungen abzuschließen. Zur Vermeidung des „Jugendamtshoppings“ sind die Jugendämter untereinander zur Information über Kindeswohlgefährdungen verpflichtet. Erfolgen soll diese Informationsweitergabe im Rahmen eines Gesprächs zwischen den Fachkräften, den Personensorgeberechtigten und den jungen Menschen. Damit soll eine belastbare, tragfähige und lückenlose Verantwortungskette bei Zuständigkeitswechseln sichergestellt werden.
  • § 8b SGB VIII: Alle beruflich mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt stehenden Personen haben bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft des Jugendamtes. Träger von Einrichtungen haben einen Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien, in Bayern gegenüber den die Heimaufsicht führenden Regierungen.
  • § 16 SGB VIII: Schwangeren, werdenden Vätern und Eltern sind Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Aufbaus elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen anzubieten.
  • § 37 SGB VIII: Eine Pflegeperson hat Anspruch auf ortsnahe Beratung und Unterstützung, im Zweifelsfall auch durch ein anderes Jugendamt.
  • § 45 SGB VIII: In stationären und teilstationären Einrichtungen bedarf es geeigneter Verfahren der Beteiligung junger Menschen sowie Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten. Das eingesetzte Personal muss seine Eignung durch regelmäßig vorzulegende erweiterte Führungszeugnisse nachweisen.
  • § 47 SGB VIII: Die Meldepflichten umfassen zusätzlich die Mitteilung von Ereignissen oder Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der in Einrichtungen lebenden Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen.
  • § 72a SGB VIII: Einschlägig vorbestrafte Personen dürfen hauptamtlich bei öffentlichen Trägern nicht beschäftigt oder vermittelt werden. Sie haben regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen. Die Sicherstellung der Einhaltung dieser Vorschrift bei freien Trägern erfolgt durch den Abschluss von Vereinbarungen. Für neben- und ehrenamtlich Tätige ist anhand von Art, Intensität und Dauer des Kontaktes zu entscheiden, welche Personen ein Führungszeugnis vorzulegen haben.
  • § 79a SGB VIII: Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung und Gewährleistung der Qualität bei der Gewährung und Erbringung von Leistungen, der Erfüllung anderer Aufgaben, im Prozess der Gefährdungseinschätzung und für die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen sind durch die örtlichen Jugendämter zu entwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. Sie orientieren sich dabei an den fachlichen Empfehlungen der Landesjugendämter.
  • § 81 SGB VIII: Das Gebot der Zusammenarbeit zwischen den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen auf struktureller Ebene wird gesetzlich normiert.
  • § 86c SGB VIII: Bei Zuständigkeitswechseln erfolgt die Fallübergabe im Rahmen eines Gespräches unter Beteiligung der Betroffenen und Leistungsberechtigten. Der bisherige Träger bleibt solange zuständig, bis der neue Träger die Leistung fortsetzt.
  • § 103 SGB VIII: Zukünftig dürfen die Ergebnisse der Kinder- und Jugendhilfestatistiken auch auf Gemeinde- bzw. Jugendamtsebene veröffentlicht werden.

Der Artikel 3 BKiSchG enthält die Änderungen anderer Gesetze. Alsda sind:

  • § 21 SGB IX: Das Beratungsangebot durch das Jugendamt bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung gilt nun auch für Träger von Rehabilitationseinrichtungen und -diensten.
  • § 4 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG): Die Schwangerenkonfliktberatungsstellen wirken an den Netzwerken nach § 3 KKG mit.

Der Art. 4 BKiSchG enthält die Verpflichtung der Bundesregierung unter Beteiligung der Länder gegenüber dem Deutschen Bundestag zur Evaluation der Wirkungen des Gesetzes und darüber bis zum 31. Dezember 2015 zu berichten. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend wird in Art. 5 BKiSchG ermächtigt, den Wortlaut des SGB VIII in seiner Gesamtheit im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Abschließend regelt der Art. 6 BKiSchG das Inkrafttreten zum 01. Januar 2012.

Wesentliche Veränderungen

Die umfassenden gesetzlichen Änderungen und Neuerungen bieten für die öffentlichen örtlichen und überörtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe Anlass, eine eigene Standortbestimmung im Spannungsfeld der Aufgaben von Prävention und Wächteramt vorzunehmen. Dabei müssen Regelungsbedarfe und Entwicklungsaufgaben vor Ort sondiert und auf jeden Arbeitsplatz im Jugendamt hin operationalisiert werden.

Die Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung durch die öffentlichen Träger im Sinne des § 8a SGB VIII bedarf einiger Änderungen und Anpassungen bisheriger Verfahren. Insbesondere sind folgende Punkte zu überprüfen:

  • Sind die bestehenden Fachlichen Empfehlungen der überörtlichen Jugendhilfeträger noch ausreichend?
  • Entsprechen die jeweiligen Dienstanweisungen vor Ort der neuen Gesetzeslage?
  • Steht in qualitativer und quantitativer Hinsicht ausreichend Personal zur Verfügung, etwa um der regelhaften Verpflichtung von Hausbesuchen zur Schaffung eines unmittelbaren Eindrucks nachzukommen?
  • Sind die verschiedenen Vereinbarungen mit den Leistungserbringern auf einem der neuen Gesetzeslage entsprechenden Stand?
  • Welche Anforderungen an eine lückenlose und nachvollziehbare Dokumentation sind zu erfüllen?
  • Wie gestalten sich Übergänge bei Leistungen und Hilfen, insbesondere in Hinblick auf die Mitteilungsverpflichtung unter den Jugendämtern unter Beteiligung der Betroffenen und Leistungsberechtigten?

Auch das Kinderschutzverfahren bei den Leistungserbringern hat gemäß § 4 Abs. 1, 2 KKG, § 8a Abs. 4, 5 und § 8b Abs. 1, 2 SGB VIII umfassende Neuerungen erfahren. Hier stellen sich folgende Fragestellungen für die zukünftige Abstimmung des gemeinsamen Handlungsauftrages:

  • Welche Verfahrensregelungen bedürfen einer Anpassung der bisherigen Praxis?
  • Sind die verschiedenen Vereinbarungen mit den öffentlichen Trägern auf einem der neuen Gesetzeslage entsprechenden Stand?
  • Welche Aufgaben kommen neu auf die Leistungserbringer zu und wie korrespondieren diese mit den gegebenen Ausstattungsmerkmalen?
  • Wie gestaltet sich die Rolle der freien Träger in der Zusammenarbeit mit den insofern erfahrenen Fachkräften der öffentlichen Träger? Wer übernimmt welche Aufgaben?
  • Auf welche Weise kann die geforderte gesprächsweise Mitteilung gewichtiger Anhaltspunkte an den öffentlichen Jugendhilfeträger erfolgen?
  • Welche Kooperationspflichten gilt es in der Verantwortungsgemeinschaft um die Sicherstellung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen zu erfüllen und festzuschreiben?

Der Kreis der Mitteilungsberechtigten gegenüber dem Jugendamt und der Anspruchsberechtigten auf Beratung und Begleitung durch das Jugendamt hat sich aufgrund §§ 4 Abs. 1, 2 und 3 KGG, § 8b SGB VIII, § 81 SGB VIII und § 21 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX deutlich erweitert.

  • Wie können die Geheimnisträger im Sinne des § 203 StGB in die Lage versetzt werden, bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung mit dem Kind / Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation adäquat zu erörtern?
  • In welcher Weise und auf welcher Basis können Sie auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken?
  • In welcher Form können sie ihre Befugnis ausüben das Jugendamt zu informieren, wenn das Beratungsverfahren erfolglos ist bzw. ausscheidet?
  • Woran erkennen sie, dass ein Tätigwerden des Jugendamtes erforderlich ist?
  • Welche Qualifikationsvoraussetzungen benötigen die Beratungs- und Begleitungsfachkräfte
    im Jugendamt?
  • Was ist unter Begleitung zu verstehen?
  • Welche Beratungsleistung muss das Jugendamt für die Träger von Rehabilitationseinrichtungen und -diensten vorhalten?

Aufgrund § 1 Abs. 4 KKG, § 3 Abs. 2 S. 1 KKG, § 81 SGB VIII, § 4 Abs. 2 SchKG sind in den Städten und Landkreisen verbindliche Netzwerkstrukturen vorzuhalten.

  • Wie kann die Legaldefinition der Frühen Hilfen dem Grunde nach und konkret vor Ort ausgelegt werden?
  • Welchen Auftrag und welche Rolle übernehmen die bayerischen Koordinierenden Kinderschutzstellen (KoKis) zukünftig?
  • (Wie) kann die Pflicht der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und aller anderen Kooperationspartner zur Mitwirkung in den Netzwerken sichergestellt werden?
  • Gibt es weiter zu beachtende oder zu schaffende spezialgesetzliche Regelungen für die am Netzwerk beteiligten Berufsgruppen?
  • Aus wessen und welchem Haushalt erfolgt eine Entgeltung des neu entstehenden Aufwands?
  • Können (neue) Vereinbarungen zwischen den Netzwerkpartnern geschlossen werden?
  • Sind neue Netzwerkpartner zu integrieren?
  • Eltern wie werdende Mütter und Väter haben einen umfassenden Anspruch auf Information und Unterstützung nach § 2 Abs. 1 und 2 KKG, § 16 Abs. 3 SGB VIII.
  • Durch wen genau und auf welche Weise erfolgt die Information über Leistungsangebote vor Ort?
  • Wer unterbreitet das Angebot eines persönlichen Gesprächs, welches auf Wunsch der Eltern auch in deren Wohnung stattfinden kann?
  • Sind die bisher bevorzugten Medien und die weiteren Kommunikationsformen wie z. B. Elternbriefe geeignet, den Informationsanspruch zu erfüllen?
  • Welche Jugendhilfe- und Sozialplanungsaufgaben, z. B. bzgl. der Familienstützpunkte oder im Verhältnis zur Erwachsenenbildung, sind in der Kommune wahrzunehmen?

Der § 1 Abs. 4 KKG, § 2 KKG, § 3 Abs. 4 KKG und § 16 SGB VIII regeln die Aufgaben und Tätigkeiten der Frühen Hilfen und den Einsatz von Familienhebammen. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen:

  • An welcher Stelle erfolgt die Information über Leistungsangebote?
  • Wer unterbreitet das Angebot eines persönlichen Gesprächs?
  • Wie kann der Navigationsauftrag durch die bayerischen KoKis ausgefüllt werden?
  • Was benötigt eine Kommune für die erforderliche Vorhaltung eines möglichst frühzeitigen, koordinierten und multi-professionellen Angebots?
  • Welche Rolle nehmen die Familienhebammen in diesem System ein und an welcher Stelle erfolgt die Koordinierung deren Einsatzes?

Ein bedingungsloser Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen ist in § 72a SGB VIII und § 45 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII enthalten.

  • Wer prüft an welcher Stelle die erforderlichen erweiterten Führungszeugnisse und wer trägt deren Kosten?
  • (Wie) kann die Entwicklung von Mustervereinbarungen der Umsetzung vor Ort dienlich sein?
    • Müssen alle bestehenden Betriebserlaubnisse von Einrichtungen widerrufen oder – in welchem Zeitraum – ergänzt werden?
  • Hat die Heimaufsicht bei den Regierungen die notwendigen Ressourcen der Übernahme dieser Aufträge für den Einrichtungssektor?
  • Wer definiert im Jugendamt aufgrund welcher Vorgaben die Notwendigkeit des Vorlegens erweiterter Führungszeugnisse für neben- oder ehrenamtlich tätige Personen?
  • (Wie) können geistliche Berufe in den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung mit eingebunden werden?

Die Sicherstellung der Hilfekontinuität sowohl in der Vollzeitpflege als auch bei einem Zuständigkeitswechsel gemäß der §§ 37, 86c, 8a Abs. 5 SGB VIII erfordern neue Handlungsweisen.

  • Wie gelingt die Sicherstellung einer ortsnahen Beratung und Unterstützung in Pflegeverhältnissen, nicht zuletzt im Hinblick auf eine Rückkehroption?
  • Welche Ressourcen sind hierfür vorzuhalten?
  • Wie ist die Dokumentation in der Hilfeplanung sicherzustellen?
  • (Wie) kann die fortdauernde Leistungsverpflichtung des abgebenden Jugendamtes gewährleistet werden, auch wenn es unterschiedliche Falleinschätzungen gibt?
  • Welche Standards sind für das Übergabegespräch einschließlich einer Beteiligung der Leistungsbegünstigten anzuwenden?

Nicht zuletzt bedürfen auch die durchaus vorhandenen fachlichen Standards entsprechend der Regelungen in den §§ 79a und 81 SGB VIII einer zwingenden Anpassung, Fortschreibung und Ergänzung anhand der neuen Rechtslage. Es ist gemeinsame Aufgabe von örtlichen Jugendämtern und überörtlichen Jugendhilfeträgern, die Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung und Gewährleistung der Qualität in Bezug auf

  • die Gewährung und Erbringung von Leistungen
  • die Erfüllung anderer Aufgaben,
  • den Prozess der Gefährdungseinschätzung und
  • die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen

neu zu gestalten. Hierzu sind die erforderlichen Parameter in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit darzustellen, zu gewichten und vor allem in der Anwendung zu gestalten.
Eine gleichermaßen anspruchsvolle wie umfassende Entwicklungsaufgabe insbesondere für die Landesjugendämter.

Gestaltungsräume

Die Gestaltungsräume für den Geschäftsbereich Kinder-, Jugend- und Familienhilfe in der Kommunalverwaltung sind zu sondieren und neu auszuloten. Das betrifft auch das Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Trägern, die noch stärker in Wächteramtsfunktionen eingebunden werden als bisher. Ebenso bedarf das Verhältnis der örtlichen zu den überörtlichen Trägern einer Überprüfung und Abstimmung der neu zu erfüllenden Anforderungen.

Für das doch im Wesentlichen vom Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) betroffene Netzwerk Frühe Kindheit werden auf gesetzlich-struktureller Grundlage verbindlichere Grundlagen geschaffen, die Anlass bieten für Entwicklungsoptimismus an zum Teil doch neuralgischen Schnittstellen. Somit kann bereits jetzt klar festgehalten werden, dass eine Beratung und Gefährdungseinschätzung sowohl von den sekundärpräventiven bayerischen KoKis als auch durch die Allgemeinen Sozialen Dienste vorgehalten werden müssen. Wie eine Grenzziehung hier verläuft, wer welchen Mehraufwand zu tragen hat, obliegt der Entscheidungshoheit der jeweiligen örtlichen Jugendämter. Denn diese sind für das Vorhalten der insoweit erfahrenen Fachkräfte verantwortlich. Auch an welcher Stelle eines Jugendamtes die Beauftragung der Durchführung einer Beratung und Begleitung von (werdenden) Eltern erfolgt, obliegt der Organisation in der Kommunalbehörde durch die dortigen politischen Entscheidungsträger.

Die Entscheidungshoheit des örtlichen öffentlichen Jugendhilfeträgers betrifft auch die Unterstützungsleistungen der jeweiligen Fachstellen vor Ort, z. B. wenn eine KoKi juristische Informationen im Rahmen eines Netzwerktreffens für notwendig erachtet. Dies gilt auch für die Entscheidungshoheit, wann erweiterte Führungszeugnisse gemäß § 72a Abs. 3 und 4 SGB VIII eingeholt werden müssen. Somit kann es hierbei zu regionalen Unterschieden kommen, was insbesondere bei Stadt- und Landkreisgrenzen überschreitenden Angeboten zur Verwirrung führen kann. Das sollte einvernehmlich geklärt werden.

Zu dem Einsatz von Familienhebammen, zu der Mittelverteilung, den Abrechnungsbedingungen oder weiteren Fragestellungen in diesem Kontext, liegen bislang noch keine Orientierungswerte vor. Hier bleiben die noch zu erarbeitenden Verwaltungsvereinbarungen des Bundes mit den Ländern abzuwarten.

Offene Fragen und Entwicklungsschritte

Offene Fragen, welche einer Beantwortung zugeführt werden müssen, bleiben auf allen Ebenen und in allen Verantwortungsbereichen bestehen. Vieles an notwendigen Absprachen und Entscheidungen wird sich erst durch den Vollzug in der Praxis herauskristallisieren. Von Bedeutung erscheint derzeit aber, dass jede(r) in der Kinder- und Jugendhilfe Beschäftigte einen ganz persönlichen Prüfauftrag für den je eigenen Arbeits- und Verantwortungsbereich aktiv wahrnimmt.

Für schriftliche Verlautbarungen, Abstimmungsprozesse und gemeinsame Veranstaltungen im Zusammenwirken aller Organisationsebenen, im Dialog aller beteiligter Stellen und Partner, in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung gibt das BKiSchG eine gute Grundlage. Um den Kinderschutz bundesweit auf präventiver und intervenierender Ebene zu verbessern, müssen alle zusammenhelfen.

Weitere Schritte des Landesjugendamtes:

Das Landesjugendamt wird sich im Rahmen seines gesetzlichen Unterstützungsauftrages des neuen BKiSchG annehmen. So werden vordringlich einmal Einführungsveranstaltungen für die Jugendämter in Bayern angeboten. Als Termine sind der 20.03.2012 (Nürnberg) sowie der 23.03.2012 (München) vorgesehen.
Darüber hinaus wird sich der Landesjugendhilfeausschuss mit dem Gesetz beschäftigen. Zuerst werden dabei die Empfehlungen zu den §§ 8a sowie 72a SGB VIII auf eventuelle Veränderungsbedarfe durch die neue Rechtslage zu prüfen sein.

aus: ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt  Mitteilungblatt 1/2012