Fachliche Empfehlungen zur Erziehungsberatung
(§ 28 SGB VIII)

Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 26.10.1998

Leistungsgrundlage

In § 28 SGB VIII wird diese ambulante Hilfe folgendermaßen beschrieben:
"Erziehungsberatungsstellen und andere Beratungsdienste und -einrichtungen sollen Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrundeliegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen. Dabei sollen Fachkräfte verschiedener Fachrichtungen zusammenwirken, die mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen vertraut sind."

Die Entscheidung, ob Erziehungsberatung die richtige/angemessene Hilfe zur Erziehung für das jeweils betroffene Kind, den/die Jugendliche(n) bzw. die Familie ist, sollte unter Einbeziehung der folgenden Gesichtspunkte getroffen werden:

  • Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 27 SGB VIII müssen gegeben sein.
  • Die Mitarbeit der Familie ist für das Gelingen der Hilfe erforderlich. Die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen und mit der Fachkraft zusammenzuarbeiten, ist ebenso wichtig und notwendig wie ein gewisses Maß an Problemeinsicht und Veränderungsbereitschaft. Ein Selbsthilfepotential der Familie sollte erkennbar sein, so dass eine Verbesserung der Erziehungs- und Familiensituation in einem vertretbaren Zeitrahmen möglich erscheint. Die Familie ist in der Lage, mit beraterischer Unterstützung eine dem Wohle des Kindes oder Jugendlichen förderliche Erziehung noch selbst zu leisten.
  • Die Eignung und Ausgestaltung der Hilfe wird von den Leistungsberechtigten im Einvernehmen mit der Fachkraft vereinbart. Aktive und konstruktive Mitarbeit der Leistungsberechtigten ist zum Aufstellen und Erreichen der Leistungsziele unerlässlich.

Zielsetzung

Grundsätzliche Ziele der Erziehungsberatung sind:

  • die Wiederherstellung, Sicherung und Stabilisierung der familiären (elterlichen) Erziehungskompetenz;
  • eine positive, den individuellen Voraussetzungen des Kindes/Jugendlichen entsprechende kognitive und psychische Entwicklung und Stabilisierung ohne belastende oder "symptomatische" Verhaltens- bzw. Erlebensweisen;
  • die Klärung und Entwicklung von Lösungswegen für intrafamiliäre Beziehungskonflikte zwischen Kind/Jugendlichem und Eltern;
  • ein für die beteiligten Kinder/Jugendlichen förderlicher Umgang mit ihren in Paarkonflikt, Trennung oder Scheidung befindlichen Eltern.

Die Hilfe orientiert sich an der Lebenssituation und den konkreten Möglichkeiten (Ressourcen) der Kinder, Jugendlichen, Eltern.
Durch das Angebot von Erziehungsberatung kommt die verfassungsmäßige Wertschätzung der elterlichen Erziehungsverantwortung sowie die gesetzlich geforderte Beteiligung der jungen Menschen an der Ausgestaltung der Hilfe zum Ausdruck.

Zielgruppe

Das Leistungsangebot richtet sich an

  • Eltern, die aufgrund persönlicher bzw. intrafamiliärer Problemlagen oder der besonderen Entwicklung ihres Kindes, Jugendlichen in der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben Hilfe im Sinne von Klärung und Beratung benötigen, um sie (wieder) eigenständig im familiären Umfeld zum Wohle des Kindes/Jugendlichen weiterführen zu können.
  • Kinder und Jugendliche (in Verbindung mit § 41 SGB VIII auch junge Volljährige) mit Entwicklungs-, Verhaltens- und Erlebensproblemen auf der Basis individueller und familien- bzw. umfeldbezogener, ihrem Wohle nicht förderlicher Sozialisations-/Erziehungsbedingungen.

Leistungsinhalt

Alle Maßnahmen im Leistungsspektrum der Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII sind abgestimmt und ausgerichtet auf die Kooperationsbereitschaft und die aktuellen Fähigkeiten der Familienmitglieder, insbesondere die erzieherische und beziehungsmäßige Situation in der Familie und den aktuellen kognitiven und psychischen Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen.
Konkrete Leistungsinhalte sind:

  • diagnostische Abklärung der Entwicklung des Kindes sowie der Faktoren, die dem emotionalen Entwicklungs- oder Verhaltensproblem des Kindes/Jugendlichen zugrunde liegen;
  • Information und Beratung der Eltern über mögliche Ursachen und notwendige Maßnahmen zur Behebung der Probleme des Kindes/Jugendlichen bzw. der Erziehung;
  • Förderung der kognitiven Entwicklung des Kindes;
  • Verbesserung und Stabilisierung der psychischen/emotionalen Entwicklung des Kindes/Jugendlichen, auch nach schweren traumatischen Erlebnissen wie sexuellem Missbrauch oder Misshandlung;
  • Klärung und Bewältigung (im Sinne neuer Lösungswege) intrafamiliärer Beziehungskonflikte;
  • Klärung und Bewältigung (im Sinne neuer Lösungswege) partnerschaftlicher Konflikte, Trennung oder Scheidung der Eltern und ihrer Auswirkungen auf ihre Kinder/Jugendlichen;
  • Stützung, Beratung und/oder Therapie des Kindes/Jugendlichen zur Bewältigung der Folgen elterlicher Konflikte, Trennung und Scheidung;
  • gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Integration des Kindes und der erzieherischen Situation;
  • Vermittlung in ergänzende oder besser geeignete Maßnahmen/Hilfen.

Dauer, Zahl und Abstand der Beratungskontakte erfolgen ebenfalls in Abhängigkeit von der Fragestellung und den Möglichkeiten des Kindes/Jugendlichen, der Eltern/Familie und des ausführenden Dienstes.
Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII ist als niedrigschwellige, ressourcenaktivierende, mittelbar über Transferleistung der Familie und nicht unmittelbar eingreifende Hilfe angelegt. Der Großteil aller Beratungsverläufe liegt zwischen 5 und 20 Kontakten, kann im Einzelfall aber auch darunter oder darüber liegen.

Ausstattungsmerkmale

  • Mitarbeiter:
    Zur Durchführung der Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII ist ein multidisziplinäres Team (in der Regel Diplompsychologen/-innen und Diplomsozialpädagogen/-innen (FH), aber auch Diplompädagogen/-innen und in Ergänzung insbesondere Heilpädagogen/-innen und Logopäden/-innen, konsiliarisch Ärzte/-innen und Anwälte/-innen), das mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen (der Klärung und Diagnostik, der Beratung und Therapie) vertraut ist, gesetzlich erforderlich. Die Mindestgröße liegt in der Regel bei drei Vollzeitplanstellen für Fachkräfte und einer Verwaltungsfachkraft. Regelmäßige Fort- und Weiterbildung ist gewährleistet.
  • Träger:
    Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII wird in der Regel in Erziehungsberatungsstellen und anderen Diensten und Einrichtungen nach § 28 mit analoger Mitarbeiterzusammensetzung und Befähigung geleistet. Diese Hilfe wird sowohl in freier als auch in öffentlicher Trägerschaft erbracht. Für die örtliche Ausstattung mit Erziehungsberatung gelten die §§ 79 und 80 SGB VIII.

Arbeitsformen

Die verschiedenen, zur Erziehungsberatung erforderlichen Maßnahmen erfolgen abgestimmt auf das Ausgangsproblem/die Ausgangsfragestellung und den Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen sowie die erzieherischen Möglichkeiten der Eltern/der Familie und der sie erschwerenden Bedingungen. Die Arbeit erfolgt in der Regel in den Phasen:

  • Klärung und Information (Problembeschreibung, Klärung der motivationalen Grundlagen, Anamnese, Diagnostik und kooperative Ziel- und Maßnahmenvereinbarung), auch ob Erziehungsberatung die geeignete Maßnahme ist bzw. was angemessener wäre.
  • Intervention im Sinne von Beratung und/oder Therapie in Abhängigkeit von der Problemstellung und den Möglichkeiten der Familie:
    - Einzel- oder Gruppenpsychotherapie des Kindes/Jugendlichen,
    - Fördermaßnahmen und Spieltherapie,
    - Elternberatung,
    - Familienberatung, Familientherapie,
    - Paarberatung für Eltern,
    - Beratung weiterer, an der Erziehung beteiligter Personen wie Erzieherinnen und Lehrer.
  • Auswertung, Transfer und Erprobung der erarbeiteten neuen Lösungswege/Möglichkeiten auf den Alltag der Kinder/Jugendlichen, der Eltern/Familie.
  • Bei längerer Anbindung an eine Fachkraft ist eine Ablösungsphase erforderlich.

Je nach Fragestellung und methodischem Ansatz können diese Phasen weitgehend getrennt voneinander ausgeführt werden oder sich auch im Laufe je eines Beratungskontaktes überlappen. In der Regel findet Erziehungsberatung im institutionellen Kontext statt, kann aber auf Wunsch der Leistungsberechtigten auch ganz oder teilweise im häuslichen Umfeld der Familie oder im Kindergarten bzw. in der Schule (unter Einbezug der Erzieherin bzw. des Lehrers/der Lehrerin) erfolgen.

Finanzierung

Für Leistungen nach § 28 SGB VIII wird kein Kostenbeitrag erhoben. Wird die Leistung von freien Trägern erbracht, erfolgt Pauschalfinanzierung. Im Rahmen der Personal- und Sachkosten sind auch die zentralen Verwaltungskosten, die Kosten für die Fortbildung und Supervision, Kosten für Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzungsaktivitäten, Reisekosten sowie Kosten für interne Qualitätssicherungsmaßnahmen in den Finanzierungsplan einzubeziehen. Die Finanzierung freier Träger wird unter Berücksichtigung der staatlichen Förderung durch örtliche Vereinbarung geregelt.