Regionale Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder in Bayern
Die regionale Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder in Bayern wurde im Rahmen des Fonds "Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975" zum 1. Januar 2012 beim ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt eingerichtet.
Zum Ende des Jahres 2018 lief der Fonds "Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975" aus.
Am 28. und 29. November zog die Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder in Bayern in der Evangelischen Akademie Tutzing Bilanz: Über 3000 ehemalige Heimkinder hatten sich in den letzen sechs Jahren bei der Anlauf- und Beratungsstelle gemeldet und 34,5 Millionen Euro wurden an die Betroffenen ausgeschüttet.
Am Ende des Tages gab es eine gute Nachricht:
Die Anlauf- und Beratungsstelle steht Betroffenen auch nach Auslaufen des Fonds weiterhin zur Verfügung.
So werden die Mitarbeitenden Einzelfallberatung anbieten und bei der Aktensuche und beim Übergang in andere Leistungen unterstützen. Ausgeschlossen sind allerdings finanzielle Leistungen aus dem Fonds, da die Antragsfrist zum 31. Dezember 2014 abgelaufen ist.
Die Anlaufstelle war für die Umsetzung des Fonds Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975 in Bayern verantwortlich.
Die Anlaufstelle unterstützt ehemalige Heimkinder in Bayern bestmöglich im Sinne des Abschlussberichts des Runden Tisches Heimerziehung bzw. der Fondssatzung und wirkt maßgeblich an der Aufarbeitung der bayersichen Heimerziehung der Jahre 1949 bis 1975 mit. Die Anlaufstelle legt dabei besonderen Wert auf transparente und vernetzte Arbeitsweisen und die Einbeziehung ehemaliger Heimkinder.
Hintergrundinformationen
Am 11. Dezember 2006 fand vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine Anhörung von Betroffenen statt, die in ihrer Kindheit oder Jugend in einem Heim untergebracht waren. Sie berichteten über Missstände in den Einrichtungen, über persönliches Leid und die Folgen, mit denen sie heute noch zu kämpfen haben.
Infolgedessen hat der Petitionsausschuss zur Aufarbeitung der westdeutschen Heimerziehung zwischen 1949 und 1975 eine Beschlussempfehlung verfasst, die der Deutsche Bundestag am 4. Dezember 2009 verabschiedet hat. Darin wurden die Bundesregierung und die westdeutschen Bundesländer aufgefordert, in gemeinsamer Verantwortung einen Runden Tisch einzurichten. Dieser Bitte kamen Bund und Länder nach, indem der Deutsche Bundestag in fraktionsübergreifendem Konsens die Einrichtung des „Runden Tisches Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ unter Beteiligung von Betroffenen, Trägern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Verbänden, Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Länder sowie der Kirchen beschloss.
Runder Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren"
Der Runde Tisch konstituierte sich am 17. Februar 2009 unter dem Vorsitz von Bundestagsvizepräsidentin a. D. Dr. Antje Vollmer. Zu den Aufgaben des Runden Tisch(s) gehörten u. a. die Aufarbeitung der Heimerziehung unter Berücksichtigung der damaligen rechtlichen, pädagogischen und sozialen Bedingungen, die Prüfung von Hinweisen auf Betroffenen zugefügtes Unrecht, die Aufarbeitung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und gesundheitlicher (organischer oder psychischer) Folgen der Heimerziehungspraxis, die Förderung der Kommunikation zwischen den Betroffenen und den „Nachfolge“-Organisationen der damaligen Heimträger, die Vermittlung von Beratungsangeboten, die Entwicklung von Kriterien zur Bewertung der Forderungen ehemaliger Heimkinder sowie das Erarbeiten von Lösungsansätzen.
Mit der öffentlichen Vorstellung seines Abschlussberichtes am 13. Dezember 2010 und der Übergabe an den Deutschen Bundestag am 19. Januar 2011 hat der „Runde Tisch Heimerziehung“ sein auf zwei Jahre befristetes Mandat fristgerecht erfüllt und seine Arbeit beendet.
Ergebnisse des Runden Tisches
Die Lösungsansätze des Runden Tisches umfassen sowohl immaterielle als auch materielle Formen der Aufarbeitung und Wiedergutmachung. Angeregt wurde unter anderem die Gründung eines bundesweiten Fonds, der gemeinsam von Bund, westdeutschen Bundesländern, den beiden großen christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden sowie den Orden getragen wird. Der Fonds soll ermöglichen, dass Betroffene Hilfen zur Milderung noch heute bestehender Folgen aus der Zeit ihrer Heimunterbringung zwischen den Jahren 1949 und 1975 erhalten können.
Umsetzung des Fonds Heimerziehung West in Bayern
Das in Bayern federführende Bayerische Sozialministerium bezog im Jahr 2011 freie und öffentlich-örtliche sowie -überörtliche Jugendhilfeträger eng in die Überlegungen und Planungen zur Umsetzung des Fonds ein. Darüber hinaus wurden wertvolle Hinweise und Anregungen engagierter Betroffener bei der Ausgestaltung mitberücksichtigt.
In Bayern wurde zum 01.01.2012 beim ZBFS–BLJA eine zentrale Anlauf- und Beratungsstelle für das gesamte Bundesland eingerichtet.
Aufgrund fachlich-personeller Ausstattung ist aufsuchende Beratung möglich. Schwerpunkt der Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt auf psychosozialer Beratungskompetenz: Sozialpädagogik, Pädagogik, Psychologie mit Zusatzausbildungen in Beratung, Therapie und Gesprächsführung sowie entsprechender Berufserfahrung.
Einer Empfehlung des Runden Tisches folgend, forcierte die bayerische Anlaufstelle von Beginn an die Beteiligung ehemaliger Heimkinder an der Umsetzung des Fonds. Nach einem Sondierungsgespräch mit engagierten Betroffenen im September 2013 konstituierte sich im Januar 2014 schließlich der paritätisch besetzte Beirat (sechs Betroffene, Vertretungen des Landtags, der Staatsregierung, der Kirchen, der Wissenschaft, des Trägers der Anlaufstelle; Geschäftsführung und fachliche Begleitung durch die Anlaufstelle), welcher seither die Arbeit der bayerischen Anlauf- und Beratungsstelle maßgeblich begleitet.
Der Fonds Heimerziehung West war befristet und endete am 31.12.2018.
Die bayerische Anlaufstelle hat bislang mit rund 3.000 Betroffenen Gespräche geführt.
Zum Stichtag 31.07.2018 hat die bayerische Anlaufstelle 5.045 Vereinbarungen (= Anträge auf finanzielle Leistungen) mit einem Wert von 35,65 Mio Euro für 2.610 Betroffene bei der Geschäftsstelle eingereicht. 34,51 Mio. Euro sind bislang an ehemalige Heimkinder in Bayern ausgezahlt worden.
Noch nicht veröffentlichte Ergebnisse einer eigens von der bayerischen Anlauf- und Beratungsstelle in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studie belegen, dass die Kombination von Gesprächsangeboten und finanziellen Leistungen vielen ehemaligen Heimkindern geholfen haben, besser mit ihren leidvollen Erfahrungen in Kindheit und Jugend leben zu können. Alleine, dass „ihre Geschichte“ ein gesellschaftliches und politisches Thema geworden ist, ist für viele von Bedeutung. Die Fonds Heimerziehung sind für viele Betroffene ein Symbol dafür, dass Verantwortungsträger aus Politik und Kirchen die Missstände der Vergangenheit sehen, ernst nehmen und veranlasst sind, etwas tun – auch finanziell.