Datenschutz

Datenschutzrechtliche Aspekte bei der Zusammenarbeit von Jugendämtern mit anderen Behörden/Stellen

Insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung des persönlichen Kontakts für den Aufbau von Vertrauensverhältnissen und des Schutzauftrags zum Wohl von Kindern und Jugendlichen, ist dem Sozialdatenschutz in den Jugendämtern ein hoher Stellenwert einzuräumen. Die Jugendämter unterliegen dem Sozialdatenschutz nach den Sozialgesetzbüchern I, X und den Spezialregelungen des SGB VIII (§§ 62 ff.).Da in der Arbeit mit radikalisierten oder extremistisch geprägten Familien eine enge Zusammenarbeit der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe mit entsprechenden Fach- und Beratungsstellen sowie den Sicherheitsbehörden (z. B. Polizei, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz) unerlässlich ist, soll im Folgenden auf datenschutzrechtliche Fragen eingegangen werden, die sich hierbei stellen.

Wie sind Sozialdaten von den Jugendämtern zu erheben?

Sozialdaten dürfen gem. § 62 Abs. 1 SGB VIII nur erhoben werden, soweit ihre Kenntnis zur Erfüllung der jeweiligen gesetzlichen Aufgabe erforderlich ist.

Sie sind zudem grundsätzlich bei den Betroffenen zu erheben.

Eine Datenerhebung bei Dritten ist mit Einwilligung der Betroffenen oder unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 SGB VIII zulässig.

Sollen Sozialdaten bei Dritten erhoben werden, ist aufgrund der besonderen Bedeutung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe stets zu prüfen, ob die Informationen nicht doch bei den Betroffenen oder mit deren Einwilligung bei Dritten erhoben werden können. Zudem sollten die Konsequenzen einer solchen Datenerhebung für die weitere Zusammenarbeit mit der betroffenen Familie reflektiert werden.

Die Datenschutz-Grundverordnung definiert die Einwilligung als "jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung, der sie betreffenden personenbezogenen Daten, einverstanden ist“ (Art. 4 Nr. 1 DSGVO). Freiwillig ist die Einwilligung erteilt, wenn die betroffene Person "eine echte oder freie Wahl hat und somit in der Lage ist, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden“ (siehe Erwägungsgrund 42 Satz 5 DSGVO). Die Einwilligung kann auch mündlich erteilt werden. Aufgrund der Verpflichtung des Verantwortlichen für die Datenverarbeitung zum Nachweis der Einwilligung ist jedoch eine schriftliche Erklärung zu empfehlen.

In der Praxis scheidet die Erteilung einer Einwilligung der Betroffenen jedoch aus, wenn das Jugendamt keinen Kontakt zu dem (vermuteten) radikalisierten oder radikalisierungsgefährdeten jungen Menschen bzw. dessen Erziehungsberechtigten hat bzw. aufnehmen kann.

Bei jungen Menschen ist zudem zu prüfen, ob diese bereits selbst einwilligungsfähig sind. Eine datenschutzrechtliche Einwilligungsfähigkeit ist in der Regel ab dem vollendeten 16. Lebensjahr anzunehmen.

Ohne Einwilligung der Betroffenen dürfen Sozialdaten bei Dritten nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 SGB VIII erhoben werden.

Danach ist eine Datenerhebung bei Dritten zulässig, wenn:

  • eine gesetzliche Bestimmung dies vorschreibt oder erlaubt,
  • ihre Erhebung bei der betroffenen Person nicht möglich ist oder die jeweilige Aufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen erfordert und die Kenntnis der Daten z. B. für die Durchführung einer Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII, die Erfüllung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII oder die Gefährdungsabwendung nach § 4 KKG erforderlich ist,
  • die Erhebung bei der betroffenen Person einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden,
  • die Erhebung bei der betroffenen Person den Zugang zur Hilfe ernsthaft gefährden würde.

Dürfen Sozialdaten vom Jugendamt an Beratungsstellen oder Sicherheitsbehörden übermittelt werden?

Es ist zunächst zu unterscheiden, ob die Übermittlung von Daten an Dritte, z. B. Beratungsstellen freier Träger zur Radikalisierungsprävention bzw. Deradikalisierung oder Sicherheitsbehörden, mit Einwilligung der Betroffenen oder ohne eine solche erfolgen soll. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und betroffenen Familien sollte eine Einwilligung stets bevorzugt werden. Hierbei sollten der Gefährdungsgrad des Kindes oder Jugendlichen, die Tragfähigkeit der Hilfebeziehung sowie die Auswirkungen des Vorgehens auf zukünftige Hilfebeziehungen abgewogen werden.

Kann das Jugendamt keine Einwilligung des einwilligungsfähigen jungen Menschen und/oder der Erziehungsberechtigten einholen, kommen nur gesetzliche Übermittlungsbefugnisse in Betracht.

Hierbei ist zu beachten, dass Sozialdaten nur zu dem Zweck übermittelt oder genutzt werden dürfen, zu dem sie erhoben wurden (§ 64 Abs. 1 SGB VIII). Unter "Zweck“ ist hierbei die jeweilige gesetzliche Aufgabe nach dem SGB VIII zu verstehen.

Sollen Sozialdaten zu einem anderen Zweck übermittelt werden, ist eine Einwilligung der betroffenen Person bzw. eine Rechtsgrundlage erforderlich, die eine Übermittlung trotz Zweckänderung für zulässig erklärt.

Vor einer Übermittlung von Sozialdaten durch das Jugendamt an Dritte ist daher stets zu prüfen, zu welchem Zweck die betreffenden Daten erhoben wurden (z. B. im Rahmen einer Gefährdungseinschätzung gem. § 8a SGB VIII). Zudem dürfen Daten nur übermittelt werden, sofern dies zur Aufgabenerfüllung des Jugendamtes erforderlich ist und soweit dadurch der Erfolg einer zu gewährenden Leistung nach dem SGB VIII nicht in Frage gestellt wird (vgl. § 64 Abs. 2 SGB VIII i. V. m. § 69 Abs. 1 SGB X). Hier kommt erneut die besondere Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Jugendamt und Betroffenen zum Tragen.

Des Weiteren ist bei der Übermittlung von Daten streng zwischen den besonders geschützten anvertrauten Sozialdaten gemäß § 65 SGB VIII und sonstigen Sozialdaten zu differenzieren. Anvertraute Sozialdaten erfassen alle Informationen, die der jeweiligen Fachkraft in Erwartung ihrer vertraulichen Behandlung anvertraut werden und die Fachkraft umgekehrt eine entsprechende Vertraulichkeit zusichert. Beides muss nicht zwingend explizit ausgesprochen sein, sondern kann sich auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben. Anvertraute Daten dürfen nur unter den gesetzlich definierten Voraussetzungen übermittelt werden:

  • mit Einwilligung der Betroffenen,
  • an die Fachkräfte, die zum Zwecke der Abschätzung des Gefährdungsrisikos nach § 8a SGB VIII hinzugezogen werden,
  • unter den Voraussetzungen, unter denen eine der in § 203 Abs. 1 oder 4 des StGB genannten Personen dazu befugt wäre.

Folgende gesetzliche Übermittlungsbefugnisse kommen für das Jugendamt in Betracht:

Übermittlung zur Aufgabenerfüllung gem. § 69 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB X

Gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB X dürfen Sozialdaten zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben des Jugendamtes übermittelt werden. Dies ist z. B. der Fall, wenn zur Abwendung einer Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines/einer Jugendlichen das Tätigwerden Dritter erforderlich ist (§ 8a Abs. 3 SGB VIII).  Das Übermitteln zur Gefahrenabwehr an Dritte setzt jedoch voraus, dass die Fachkräfte des ASD bereits eine Gefährdungseinschätzung bezogen auf ein bestimmtes Kind oder einen/eine Jugendlichen/Jugendliche nach § 8a Abs. 1 SGB VIII vorgenommen haben, die zu dem Ergebnis führt, dass eine Gefährdung vorliegt. Zu beachten ist hierbei, dass eine Datenübermittlung stets nur zulässig ist, soweit dadurch der Erfolg einer zu gewährenden Leistung nicht in Frage gestellt wird (§ 64 Abs. 2 SGB VIII). Durch diese Vorschrift soll der besonderen Bedeutung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Leistungsempfängern nach dem SGB VIII Rechnung getragen werden. Des Weiteren sind die Sozialdaten vor der Datenübermittlung zu anonymisieren oder zu pseudonymisieren, soweit die Aufgabenerfüllung dies zulässt (§ 64 Abs. 2a SGB VIII).

Übermittlung anvertrauter Daten gem. § 65 Abs. 1 S. 1 SGB VIII

Gemäß § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VIII dürfen die Fachkräfte des ASD sog. anvertraute Sozialdaten an diejenigen Fachkräfte weitergeben, die für eine gemeinsame Abschätzung des Gefährdungsrisikos hinzugezogen werden. Demzufolge dürfen anvertraute Sozialdaten z. B. an spezialisierte Träger in der Radikalisierungsprävention oder Deradikalisierung übermittelt werden, wenn dies zur Gefährdungseinschätzung erforderlich ist. Vor der Übermittlung sind die Sozialdaten zu anonymisieren oder zu pseudonymisieren, soweit die Aufgabenerfüllung dies zulässt.

An Dritte, d. h. Personen oder Stellen, die nicht zur Gefährdungseinschätzung hinzugezogen werden, dürfen die Daten nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VIII nur dann übermittelt werden, wenn auch ein/e nach § 203 StGB Schweigepflichtige/r ausnahmsweise Daten befugt an Dritte weitergeben dürfte. Dies kommt z. B. im Falle eines rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB in Betracht, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter Dritter nicht anderweitig abgewendet werden kann. In diesem Zusammenhang muss, gegebenfalls nach entsprechender Beratung durch die Polizei, sorgfältig geprüft werden, ob sich das Kind oder der/die Jugendliche in einem solchen Maß radikalisiert, dass denkbar wird, dass es/er/sie Taten gegen Rechtsgüter Dritter begehen wird.

Weiterhin dürfen anvertraute Daten bei einer Verpflichtung zur Anzeige bestimmter geplanter Straftaten gem. § 138 StGB an die Polizei übermittelt werden. In dieser Konstellation ergibt sich eine Übermittlungspflicht des Jugendamtes auch aus § 71 Abs. 1 Nr. 1 SGB X, bei der ebenfalls keine Unterscheidung zwischen anvertrauten und sonstigen Sozialdaten erfolgt.

Dürfen sich Fachkräfte des Jugendamtes durch Fachkräfte der Polizei beraten lassen?

Die Fachkräfte des Jugendamtes (ASD) dürfen sich für ihre erste Einschätzung der Gefährdung gem. § 8a SGB VIII durch Fachkräfte der Polizei beraten lassen. Entsprechend § 4 Abs. 2 S. 2 KKG müssen sie Die dafür erforderlichen Daten müssen stets pseudonymisiert an die Polizei übermittelt werden (vgl. § 64 Abs. 2a SGB VIII). Diese Kooperation bei der Gefährdungseinschätzung dient der strukturellen Zusammenarbeit von Fachkräften des Jugendamts mit Polizei und Ordnungsbehörden (§ 81 Nr. 9 SGB VIII).

Darf das Jugendamt Sozialdaten an Sicherheitsbehörden auf deren Ersuchen übermitteln?

Eine Weitergabe ist nur bei richterlicher Anordnung zulässig (§ 73 Abs. 3 SGB X). Die Anordnung erfordert, dass die Daten zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen eines Verbrechens oder wegen einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung, also mit der Erwartung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, erforderlich sind (§ 73 Abs. 1 SGB X). Bei geringeren Vergehen kann nur die Übermittlung von Angaben über Namen, Geburtsdatum und -ort, derzeitige und frühere Anschriften sowie Arbeitgeber angeordnet werden (§ 73 Abs. 2 SGB X).

Datenschutzrechtliche Übermittlungsvorschriften aus Sicht des Verfassungsschutzes (BayLfV)

 

Datenschutzrechtliche Aspekte in der Zusammenarbeit der Jugendämter mit dem beim Bayerischen Landeskriminalamt angesiedelten Kompetenzzentrums für Deradikalisierung (KomZ) sowie der Fachstelle VPN