Eignung sogenannter Legas-thenikertherapeuten

Immer wieder erreichen das Landesjugendamt Anfragen zu den Eignungsvoraussetzungen für Fachkräfte in der Leistungserbringung gemäß § 35a SGB VIII bei Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten und zur Eignung bestimmter Behandlungsformen wie z. B. EDU-Kinesiologie, "Davis-Methode" oder die "ganzhirnige Lehrmethode". 1995 hatte das Landesjugendamt bereits (mit Info-Nr. 34/4 vom 16.8.95) zur Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gemäß § 35a SGB VIII in Form von Kinesiologie Stellung genommen. Kürzlich warnte der Landesverband Legasthenie Bayern e. V. vor der sogenannten Davis-Methode, die "wissenschaftlich fragwürdig", "ohne Erfolgsnachweis" und zudem, mit einer fragwürdigen Zertifizierung verbunden, "überwiegend kommerziellen" Motiven diene.

In diesem Kontext ist einmal mehr auf die im Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit vom 30. Juli 1997 (VI 1/7225/1/97) und in der Publikation des Landesjugendamts "Hilfe für seelisch behinderte junge Menschen als Aufgabe der Jugendhilfe gemäß § 35a SGB VIII, Dokumentation der Fachtagung vom Dezember 1995" getroffenen Aussagen zu möglichen Eignungskriterien hinzuweisen.

Sowohl personen- als methodenbezogen mag es in Einzelfällen durchaus positive Erfahrungen mit bestimmten Leistungsanbietern bzw. Interventionskonzepten geben. Daraus aber etwa Anerkennungs- oder gar Kostenerstattungsansprüche abzuleiten, erscheint weder fachlich noch rechtlich noch jugendhilfepolitisch vertretbar.

Bei den Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, insbesondere den Lese- und Rechtschreibstörungen (F 81.0 ICD 10) und Rechenstörungen (F 81.2 ICD 10) handelt es sich um Verzögerungen bzw. Beeinträchtigungen des Erwerbs von grundlegenden Kulturfertigkeiten, die im Einzelfall zu einer seelischen Behinderung führen können und damit einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII begründen. Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass dies nur unter bestimmten Voraussetzungen der Fall sein kann. Dies sind im wesentlichen:

  • Die Störung ist nicht allein Folge einer Intelligenzminderung oder erworbenen Hirnschädigung.
  • Die Störung ist nicht erklärbar aus einem Mangel an Gelegenheit zu lernen oder einer unangemessenen Beschulung.
  • Die Störung währt über einen längeren Zeitraum (von mehr als sechs Monaten).
  • Die Störung ist durch eine schulische Beurteilung und eine fachärztliche Stellungnahme umschrieben und belegt.
  • Im Rahmen der zuständigen Feststellung der Leistungsanspruchsvoraussetzungen und der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII unter Federführung des Jugendamts wurden Hilfebedarf, notwendige und geeignete Art der Hilfe und deren Ausgestaltung sowie die Fristen und Modalitäten einer Überprüfung von Fortgang und Erfolg der Hilfe beschrieben.

Andernfalls kommen vorrangig Leistungen der schulischen Förderung (unter besonderer Berücksichtigung der Regelungen in Art. 25 BayEUG und Art. 25, 26 und 37 des BaySchFG), Leistungen der Krankenhilfe gemäß SGB V bei Vorliegen einer Störung mit Krankheitswert oder der Sozialhilfe gemäß BSHG in Betracht.

Was die Eignungsvoraussetzungen für Fachkräfte bzw. die Eignungsprüfung einer bestimmten Interventionskonzeption anbetrifft, sind auch diese dem Grunde nach einzelfallbezogen zu prüfen. Dies entspricht dem Individualisierungsgrundsatz und der Leistungsdifferenzierung in den Bestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, insbesondere im Hinblick auf §§ 27 ff. und § 36 SGB VIII. Letztlich ist im Hilfeplan festzustellen, ob Fachkraft X oder Methode Y geeignet sind, die Leistungen gemäß § 35a SGB VIII für den leistungsberechtigten jungen Menschen Z zu erbringen, und in welchem Umfang, in welcher Methodik oder sonstigen Ausgestaltung der Hilfekontrakt realisiert und überprüft werden soll. Dem Grunde nach können die Eignungsvoraussetzungen für eine in der Leistungserbringung gemäß § 35a SGB VIII tätige Fachkraft also nur einzelfallbezogen beurteilt werden.

Der bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 16.2.1998 (Nr. 12 CE 96.3246) entschieden, dass auch eine Erziehungsberatungsstelle grundsätzlich Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form ambulanter Legasthenietherapie erbringen kann. Neben Fachärzten, Psychologen und Psychotherapeuten kommen Sonderpädagogen in Frage, Heilpädagogen nur ausnahmsweise. Nur in begründeten Ausnahmefällen können bei Vorliegen mehrjähriger Erfahrungen in der Erbringung vergleichbarer Leistungen und besonderer Befähigung in der Arbeit mit jungen Menschen auch andere Ausgangsqualifikationen in Betracht gezogen werden.

Um die Qualität der Leistungserbringung zu sichern, müssen stets einschlägige entwicklungspsychologische, psychopathologische und vor allem jugendhilfespezifische Kompetenzen vorausgesetzt werden. Hinzu kommen Interdisziplinarität und die Bereitschaft, im Rahmen der Hilfeplanung eng mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten und mittels Fortbildung, Supervision bzw. Praxisberatung seine Kompetenzen ständig zu aktualisieren.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Leid der betroffenen Kinder und ihrer Familien ernst zu nehmen ist, dass sie Anspruch haben auf bedarfsgerechte, wissenschaftlich haltbare und überprüfte Leistungen der zuständigen Stellen und auf Schutz vor fragwürdigen Methoden oder gewerblichen Begehrlichkeiten.

Für Fachkräfte der öffentlichen Jugendhilfe, die Aufgaben nach § 35a SGB VIII wahrnehmen, finden am 18. März 1999 in Würzburg und am 19. Oktober 1999 in München in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Dr. Amorosa Informationsveranstaltungen zu "Legasthenie-Gutachten, Zuständigkeiten und Verfahren" (K 5/99) statt.

Hans Hillmeier

Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 2/1999