Kommerzielle Suchdienste bei der Suche nach leiblichen Ver­wandten

Schon seit einiger Zeit hat sich die Suche Adoptierter nach leiblichen Verwandten (Eltern, Großeltern, Geschwistern) zu einem wichtigen Schwerpunkt in der Praxis der Adoptionsvermittlungsstellen entwickelt. Auch der Suche leiblicher Verwandter nach zur Adoption gegebenen Kindern kommt einige Bedeutung zu. Gerade in jüngster Zeit häufen sich aber Anfragen kommerzieller Suchdienste an die Jugendämter, die Adoptierte bei der Suche nach leiblichen Verwandten und auch um­ge­kehrt leibliche Verwandte bei der Suche nach Adoptierten unter­stüt­zen.

Angesichts der vielen datenschutzrechtlichen Rückfragen von Adop­tions­ver­mittlungsstellen hält das Bayerische Landesjugendamt im Zentrum Bayern Familie und Soziales eine Äußerung zum Thema für veranlasst. Die folgenden Ausführungen können hierzu jedoch allenfalls grundsätzliche Hinweise geben, nachdem die konkreten Einzelfragen häufig von höchst unterschiedlichen konkreten Umständen geprägt sind. Die Abhandlung konkreter problematischer Einzelfälle würde jedoch den Rahmen des Mitteilungsblatts sprengen.

1. Auftrag des Jugendamts

Die Verpflichtung des Jugendamts, Suchende bei Anfragen zu unter­stützen, ergibt sich aus der Pflicht zur nachgehenden Begleitung Adoptierter und der leiblichen Eltern (§ 9a in Verb. m. § 9 Abs. 1 des Adoptionsvermittlungsgesetzes - AdVermiG).

2. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung

Schon 1989 hat das Bundesverfassungsgericht das Recht Adoptierter auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus dem allgemeinen Per­sön­lich­keits­recht (Art. 2 S. 1 in Verb. m. Art. 1 Abs. 1 GG) hergeleitet. Das Gericht führt dazu aus: "Verständnis und Entfaltung der Individualität sind mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung. Sie legt nicht nur die genetische Ausstattung des Einzelnen fest und prägt so seine Per­sön­lich­keit mit. Unabhängig davon nimmt sie auch im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbst­ver­ständnis ein (...). Als Individualisierungsmerkmal gehört die Ab­stam­mung zur Persönlichkeit, und die Kenntnis der Herkunft bietet dem Einzelnen unabhängig vom Ausmaß wissenschaftlicher Er­geb­nis­se wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Daher umfasst das Per­sön­lich­keitsrecht auch die Kenntnis der eigenen Ab­stam­mung" (BVerfG NJW 89, 891).
Aller­dings betreffen Informationen über die Abstammung des Adop­tier­ten häufig zugleich weitere Personen. Beispielsweise sind Name, Alter und weitere Angaben über die leibliche Mutter oder den (angeblichen) Vater sowohl für diese, als auch für den Adoptierten personen­be­zo­ge­ne Daten. Das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung kollidiert somit häufig mit anderen grundrechtlich geschützten Po­si­tio­nen wie etwa

  • dem Recht leiblicher Verwandter auf Schutz des fa­mi­liä­ren Be­reichs sowie der persönlichen und geschlechtlichen Be­zie­hun­gen (vgl. BVerfGE 89,69), sowie
  • dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, d.h. die Ent­schei­dungs­freiheit, inwieweit und wem gegenüber persönliche Lebenssachverhalte mitgeteilt werden (vgl. hierzu das "Volks­zäh­lungs­urteil" in BVerfGE 65,41 ff.).

Während das Bundesverfassungsgericht dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung grundsätzlich keinen Vorrang gegenüber den genannten Persönlichkeitsrechten Dritter zubilligte (NJW 99,792) existiert § 9b Abs. 2 AdVermiG seit 01.01.2002 mit einer eindeutigen Regelung zur Akteneinsicht für Adoptierte.

Diese wird unter 3. näher beleuchtet. Sodann wird unter 4. auf die Rechtslage bei der Suche nach Adoptierten eingegangen.

3. Suche Adoptierter nach leiblichen Ver­wand­ten

3.1
Unter den Voraussetzungen des § 9b Abs. 2 AdVermiG haben Adop­tier­te ein Recht auf Einsichtnahme in ihre Adoptionsakten. Nach § 9b Abs. 2 AdVermiG ist die Akteneinsicht zu gewähren,

  • soweit sich die Informationen in der Akte auf die Herkunft und Le­bens­ge­schich­te des Adoptierten selbst beziehen, oder
  • wenn der Adoptierte bezüglich anderer Informationen (ins­be­son­dere werden dies Informationen über die abgebenden Eltern oder andere leibliche Verwandte sein) ein berechtigtes Interesse gel­tend machen kann. Dieses Interesse kann etwa in der Her­stel­lung eines persönlichen Kontakts liegen.

3.2
Ausgeschlossen ist die Ak­ten­einsicht nach § 9b Abs. 2 S. 2 AdVermiG, wenn ein Dritter, z. B. die gesuchte Person, ein die Interessen der Su­chen­den überwiegendes Interesse auf Geheimhaltung hat. Dabei ist zu sehen, dass das Jugendamt darlegungspflichtig ist, wenn es die Ein­sicht­nah­me verweigern will. Es hat somit alle zumutbaren Mög­lich­kei­ten auszuschöpfen, um die Interessenlage des Gesuchten so weit wie möglich zu ermitteln.
Die Erkenntnisse sind zu dokumentieren und die Ablehnung der Ak­ten­ein­sicht ist ggf. zu begründen. Dies auch unter dem Ge­sichts­punkt, dass die Entscheidung des Jugendamts, den Betroffenen die Ak­ten­ein­sicht nicht zu gewähren, einen Verwaltungsakt darstellt, der gerichtlich überprüfbar ist.

3.2.1
Hinweise auf die bestehende Interessenlage können sich grundsätzlich aus den Adoptionsaktenselbst oder den Erkenntnissen aus der nach­ge­hen­den Begleitung der Adoptivfamilie oder der leiblichen Eltern des Adoptierten ergeben.

3.2.2
Vor allem hat es sich aber als Standard entwickelt, dass die Ju­gend­äm­ter zunächst Kontakt zu den gesuchten Personen herstellen, um diese auf die Kontaktaufnahme vorzubereiten, Möglichkeiten des kon­kreten Kontakts auszuloten und den Kontakt ggf. anzubahnen und zu begleiten. In diesem Zuge können auch etwaige Interessenlagen der Gesuchten eruiert werden. Die Akteneinsicht wird ohnehin immer mög­lich sein, soweit sich die Betroffenen ausdrücklich einverstanden er­klärt haben, dass ihre Daten eingesehen werden.

3.2.3
Die Erkenntnisse sind vom Jugendamt nunmehr zu bewerten, in­wie­weit sie überwiegende Interessen Dritter stützen oder nicht. In einer ausdrücklich nicht abschließenden Aufzählung hat das BVerfG fol­gende Punkte aufgeführt (NJW 99,726), die entsprechend der kon­kre­ten Situation im Einzelfall in einer Abwägung zu berücksichtigen sein könnten:

  • Die Ernsthaftigkeit des Anliegens des Suchenden (gab es bereits frühere Suchbemühungen? Intensität der Suche?), wobei un­er­heb­lich sei, wenn die Suche erst nach dem 30. Lebensjahr be­gon­nen wird oder diese lediglich zum Zweck der Gel­tend­ma­chung von Erbansprüchen erfolgt.
  • Die Störung intakter Familienverhältnisse der Betroffenen, die Bloßstellung des Vaters oder der Mutter wegen Mehrverkehrs während der Empfängniszeit.
  • Das Versprechen der Mutter, die Identität des Vaters nicht preiszugeben.

Kann das Jugendamt weder auf der Grundlage des vorhandenen Akteninhalts, noch auf der Grundlage einer persönlichen Kontaktaufnahme (etwa, weil die gesuchte Person den Kontakt verweigert, oder weil sie nicht ausfindig gemacht werden konnte) darlegen, dass überwiegende Interessen des Gesuchten gegen die Akteneinsicht sprechen, so ist dem Adoptierten Einsicht in die Adoptionsakten zu gewähren.

3.2.4
Die organisatorischen Voraussetzungen der Akteneinsicht sind nach
§ 9b Abs. 2 AdVermiG 

  • ein entsprechender Antrag des Adoptierten,
  • der Adoptierte hat das 16. Lebensjahr vollendet, und
  • die Anleitung der Akteneinsicht durch eine Fachkraft.

Ist der Adoptierte noch nicht 16 Jahre alt, ist die Akteneinsicht statt­dessen seinem gesetzlichen Vertreter zu gewähren.

3.2.5
Kommt man nach erfolgter Güterabwägung zu der Überzeugung, dass nach § 9b Abs. 2 AdVermiG keine Akteneinsicht zu gewähren ist, so sind gleichwohl allgemeine Hinweise ("Sie haben zwei jüngere leibliche Geschwister, die ebenfalls adoptiert wurden") möglich, sofern diese nicht (auch nicht mithilfe anderer Dokumente wie etwa der Ab­stam­mungs­ur­kunde) einer konkreten Person zuzuordnen sind. Auch be­steht die Möglichkeit, im Rahmen eines Gesprächs Informationen aus der Akte so zu verallgemeinern, dass sie auf eine Vielzahl von Per­sonen zutreffen und kein Rückschluss auf die Identität einer be­stimm­ten Person mehr möglich ist (sog. Anonymisierung, vgl. § 67 Abs. 8 SGB X).

4. Suche leiblicher Verwandter nach Adoptierten

Leibliche Verwandte (häufig sind Anfragen von Eltern, Großeltern oder leiblichen Geschwistern) haben grundsätzlich keinen rechtlichen Anspruch auf die Herausgabe von Informationen über Fa­mi­lien­mit­glie­der, die zur Adoption gegeben wurden. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch (entgegen früheren Auffassungen der Praxis und auch des Landesjugendamts) nicht unmittelbar aus § 83 SGB X (Auskunftsrecht) und § 25 SGB X (Akteneinsicht).1
Hält das Jugendamt eine Kontaktaufnahme der Verwandten zu der adoptierten Person für sinnvoll und evtl. sogar für wichtig, bleibt somit ausschließlich die Möglichkeit, dass das Jugendamt selbst Kontakt zur Adoptivfamilie und dem Adoptierten aufnimmt um auszuloten, ob diese mit der Weitergabe von Informationen und Daten (ggf. welchen) ein­ver­stan­den sind oder nicht. Eine Pflicht zur Herausgabe von In­for­ma­tio­nen besteht in der Regel nicht; das Jugendamt hat jedoch bei Einwilligung der gesuchten Person die grundsätzliche Befugnis zur Weitergabe von Informationen (§ 67d Abs. 1 in Verb. m. § 67b Abs. 1 SGB X), soweit das Jugendamt die Informationsweitergabe auch unter fachlichen Gesichtspunkten für angezeigt hält. Die Einwilligung hat schriftlich zu erfolgen.

5. Beteiligung kommerzieller Suchdienste

Werden von Suchenden kommerzielle Suchdienste eingeschaltet, um leibliche Verwandte ausfindig zu machen, sollte deren Rolle als Be­vollmächtigte (§ 13 SGB X) aus Gründen der Rechtssicherheit schrift­lich nachgewiesen werden (§ 13 Abs. 1 S. 3 SGB X), bevor die Adop­tionsvermittlungsstelle des Jugendamts Auskünfte an den Such­dienst erteilt.
In der Rolle als Be­voll­mäch­tig­ter darf der Such­dienst für Adoptierte Akteneinsicht nehmen, allerdings nur und ausschließlich in dem Rah­men, in dem den Suchenden selbst nach § 9b AdVermiG Ein­sicht­nah­me zu gewähren ist (vgl. oben 3). Wurde der Suchdienst von leiblichen Verwandten eingeschaltet, um Auskunft über zur Adoption gegebene Familienmitglieder zu erhalten, gilt das oben unter 4. Gesagte, d.h. in jedem Fall erhält der Suchdienst nur diejenigen Informationen, die auch der Suchende selbst erhalten hätte. Als Merksatz mag gelten, dass der Suchdienst quasi "Mund und Ohr" der Suchenden ist, keinesfalls aber eine Organisation mit eigenen Verfahrensrechten oder umfassenden Auskunftsansprüchen.

Will das Jugendamt selbst Kontakt zu einer gesuchten Person her­stellen und kann es diese z. B. wegen einer Adressänderung ins Ausland nicht auffinden, so ist es der Adoptionsvermittlungsstelle unbenommen, selbst einen Suchdienst (Internationaler Sozialdienst, Rotes Kreuz, kommerzieller Privatanbieter) mit den erforderlichen Nachforschungen zu beauftragen. Ggf. sollte mit Suchenden vorab vereinbart werden, dass diese die hierfür anfallenden Kosten über­neh­men.
Wenn ein im Auftrag des Suchenden tätiger Suchdienst gleichzeitig dem Jugendamt anbietet, dieses bei der Suche nach leiblichen Verwandten bzw. deren Verbleib oder Anschrift im Ausland zu unterstützen, ist dies höchst kritisch zu sehen. Ob nämlich ein Suchdienst gleichzeitig im Auftrag des Suchenden und des Jugendamts tätig werden kann, muss bezweifelt werden. Insoweit dürfte der Rechtsgedanke des § 181 BGB (Interessenkollision) einer gleichzeitigen Beauftragung durch das Jugendamt und den Suchenden entgegenstehen. Die Suche im Ausland für das Jugendamt könnte in diesem Fall nämlich nur durchgeführt werden, wenn dem Suchdienst personenbezogene Daten mitgeteilt werden, die dieser als Vertreter des Suchenden (noch) nicht erhalten darf, so lange die Ermittlung der Interessenlage nach § 9b Abs. 2 S. 2 noch nicht abgeschlossen ist. Daran ändert auch eine etwaige Zusicherung des Suchdienstes nichts, alle im Ausland ermittelten Daten ausschließlich dem Jugendamt zur Verfügung zu stellen, da deren Einhaltung letztlich nicht überprüfbar ist.
Auch bei Tätigwerden von Suchdiensten ist stets zu sehen, dass dem Jugendamt die Verfahrensherrschaft bei Suchanfragen zusteht. Es ist Aufgabe der Adoptionsvermittlungsstelle, Suchenden die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, Kontaktanbahnungen fachlich zu begleiten und dabei die Einhaltung des Datenschutzes sowie die Wahrung aller berechtigten Interessen der Beteiligten sicherzustellen. Es obliegt somit einzig und allein dem pflichtgemäßen Ermessen und der Entscheidung des Jugendamtes, ob überhaupt ein Suchdienst eingeschaltet wird und - wenn ja - welches Suchdienstes sich die Adoptionsvermittlungsstelle konkret bedient. Ein rechtlicher Anspruch eines bestimmten Suchdienstes auf Betrauung mit der Anfrage ist dagegen nicht herleitbar.
Sobald die Ermittlungen des Jugendamts abgeschlossen sind, ist über die Gewährung der Akteneinsicht zu entscheiden. Ist die Akteneinsicht danach zu gewähren, kann auch der vom Suchenden eventuell eingeschaltete Dienst die Akten einsehen und auf dieser Grundlage ggf. weitere Bemühungen anstellen.
Es muss aber nochmals ausdrücklich klargestellt werden, dass dies erst nach der Entscheidung der Vermittlungsstelle, nicht jedoch in deren Vorfeld und in der Situation der Interessenermittlung erfolgen kann.

Internationale Zusammenarbeit bei der Suche nach vermissten und entzogenen Kindern

Mit Schreiben vom 21.07.2006 (GZ: 506 - 531 00) hat das Auswärtige Amt auf folgende Problematik aufmerksam gemacht und gebeten, die Jugendämter zu informieren:
Das Auswärtige Amt sieht bei internationalen Fahndungsersuchen nach vermissten Minderjährigen regelmäßig außerpolitische Belange berührt, wenn die Gefahr besteht, dass damit Informationen über Personen, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben, an ihre Verfolgungsstaaten übermittelt werden könnten. Gleiches gilt, wenn eine Überstellung der gesuchten Minderjährigen an ihre Herkunftsstaaten oder an die dort Sorgeberechtigten gegen den deutschen ordre public verstoßen würde.
Da die deutschen Träger der Jugendhilfe grundsätzlich für alle Fragen von in Deutschland aufhältlichen Minderjährigen zuständig sind, eine Entscheidung über die Rückführung eines vermissten Minderjährigen in sein Heimatland also stets einer Entscheidung durch die zuständigen Behörden und Gerichte Deutschlands vorbehalten ist, stimmt das Auswärtige Amt folgender generellen Regelung für die Behandlung eingehender Ersuchen in nichtstrafrechtlichen Angelegenheiten (Suche nach vermissten Minderjährigen) zu:

  • Einem Ersuchen auf Aufenthaltsermittlung wird grundsätzlich - allerdings ohne Unterrichtung der ausschreibenden Stelle - zugestimmt.
  • Falls die gesuchte Person in Deutschland aufgegriffen wird, sind vor einer Mitteilung an die ausschreibende Stelle das zuständige Jugendamt zu unterrichten sowie, falls eine Mitteilung an den ausschreibenden Staat beabsichtigt ist, vorab dem Auswärtigen Amt (Referat 507 - Mailanschrift: 507-rl@diplo.de) Gelegenheit zu geben, Bedenken zu äußern.
  • Erhebt das Auswärtige Amt nicht innerhalb von drei Arbeitstagen Bedenken, gilt die Zustimmung zur Weiterleitung der Daten an die ausschreibende Stelle als erteilt.


1 Allenfalls kann in extremen Einzelfällen ein allgemeines Akteneinsichtsrecht analog § 25 SGB X in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden. Dieses soll hier jedoch nicht vertieft dargestellt werden. 

aus: ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 5/2006