Empfehlungen zum Ausbau der Ganztagsbetreuung für Schü­ler/­innen der Jahrgangsstufen 5 - 10

Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 21. Januar 2003


Ausgangslage

Am 1. September 2002 trat die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. Mai 2002 zur Förderung der Ganztagsbetreuung für Schüler/innen der Jahrgangsstufen 5 - 10 in Kraft. Sie ersetzt die Bekanntmachung über die Nachmittagsbetreuung von Schüler/innen in Einrichtungen der Jugendarbeit vom 13. Juli 1994.

Mit dem Förderprogramm soll der schrittweise Ausbau eines bedarfsgerechten Betreuungs- und Förderangebots für Schüler/innen an Hauptschulen, Förderschulen (Hauptschulstufen), Realschulen und Gymnasien der Jahrgangsstufen 5 bis 10 in die Wege geleitet werden. Gemäß Ziffer 1 der Richtlinien wird, "ausgehend von der gemeinsamen Verantwortung von Staat, Kommune und Eltern, ein schulnahes Angebot vorausgesetzt, das flexibel auf die Bedürfnisse der Schüler/innen abgestimmt ist, deren wachsende Selbständigkeit berücksichtigt und maßgeblich von der Schule mitgestaltet wird". Eine Verknüpfung mit schulischen Angeboten (z. B. Wahl- und Förderunterricht) und mit außerschulischen Angeboten, z. B. der Jugendarbeit, der Sportvereine, der Musikschulen und anderer soziokultureller Einrichtungen im Umfeld, ist anzustreben.

Gefördert werden Projekte an und in Verbindung mit Hauptschulen, Schulen zur individuellen Lernförderung, Sonderpädagogischen Förderzentren (Hauptschulstufen), Realschulen und Gymnasien, die im Anschluss an den regelmäßigen Vormittagsunterricht an mindestens vier Tagen und im Gesamtumfang von möglichst 12 Stunden pro Woche ein regelmäßiges Betreuungs- und Förderangebot im Sinn der Richtlinien gewährleisten. Die Projekte können in Räumen der Schule oder in schulnahen Einrichtungen (z. B. Einrichtungen der Jugendarbeit) stattfinden

Zweck und Ziel des Programms zur Förderung der Ganztagsbetreuung für Schüler/innen der Jahrgangsstufen 5 - 10 sind zu unterscheiden von Angeboten der Jugendsozialarbeit an Schulen. Die unterschiedlichen Aufgabenstellungen erfordern unterschiedliche Ansätze für die Angebote. Die nachfolgende Stellungnahme des Landesjugendhilfeausschusses bezieht sich allein auf das Förderprogramm Ganztagsbetreuung der genannten Richtlinie.

Grundlagen

Es trifft zu, dass aufgrund der Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitswelt, die zu einem tiefgreifenden Wandel der Familienstrukturen geführt haben, und angesichts wachsender Anforderungen an Bildung und Erziehung dem Ausbau der außerunterrichtlichen und außerschulischen Betreuungs- und Förderangebote für Schüler/innen eine zunehmende Bedeutung zukommt. Insbesondere die Notwendigkeit der Sicherung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit sowie des Ausgleichs von Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen macht den Ausbau vorhandener und die Einführung neuer Bildungs-, Betreuungs- und Förderangebote dringend.

Gleichzeitig bleibt Schule gefordert, eine "innere Reform" durchzuführen. Schulisches Lernen für junge Menschen wird umso leichter, je mehr sich Schule darum bemüht, Lehr- und Lerninhalte vor allem pädagogisch und didaktisch angemessen zu vermitteln.

Das Programm zur Förderung der Ganztagsbetreuung für Schüler/innen der Jahrgangsstufen 5 — 10 wird als Einstieg verstanden in den (weiteren) Ausbau bedarfsgerechter Bildungs-, Betreuungs- und Förderangebote. Die Anforderungen an Bildung und Erziehung von Schüler/innen erfordern weitere außerunterrichtliche und außerschulische Bildungs-, Betreuungs-, Förderangebote mit unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen, die die öffentliche Verantwortung für das Gelingen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen verstärken.

Betreuungsangebote durch die Jugendhilfe müssen den maßgeblichen Qualitätsstandards der Kinder- und Jugendhilfe bzw. Jugendarbeit genügen. Die Beteiligung der betroffenen Jugendlichen ist sicherzustellen. Eine vorrangige Verortung der Angebote in der Jugendhilfe (siehe Ziffer 1 der Richtlinien) erfordert die Zusammenarbeit der Träger mit den Jugendämtern und den Schulen entsprechend ihrer Zuständigkeit nach dem SGB VIII, dem BayKJHG und dem BayEUG im Rahmen der Gesamtverantwortung der öffentlichen Träger der Jugendhilfe.


Allgemeine Kriterien für Projekte

Projekte der Ganztagsbetreuung für Schüler/innen der Jahrgangsstufen 5 - 10 müssen den Kriterien der Nachhaltigkeit, Verbindlichkeit und Regelmäßigkeit entsprechen. Zur Sicherung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit müssen sie nach Tageszeit, Dauer und Inhalt bedarfsgerecht konzeptioniert sein und an den Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen anknüpfen.

Das Betreuungsangebot muss entsprechend den Richtlinien "während des Schuljahres regelmäßig an mindestens vier Schultagen pro Woche gewährleistet sein und soll mindestens 12 Stunden pro Woche umfassen". Ganztagsbetreuung bedeutet nicht Verlängerung der Schule über den Schulalltag (z. B. in den Nachmittag) hinaus, sondern die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche in ihren Fähigkeiten und Begabungen, ihren sozialen Kompetenzen und in ihrer sozialen Integration zu fördern. Damit greift Ganztagsbetreuung zentrale Zielsetzungen der Kinder- und Jugendhilfe für Angebote an Schulen auf.

Ziel von Ganztagsbetreuung sind nicht nur Schüler/innen von Haupt-, Berufs- oder Förderschulen. Bedarf an Angeboten besteht für Schüler/innen aller weiterführenden Schulen. Der Zeitrahmen der Angebote muss sich auf das gesamte Schuljahr vom 1. August bis 31. Juli eines Folgejahres erstrecken. Angebote der Ganztagsbetreuung sollen insbesondere auch in den Schulferien angeboten werden. Die entsprechende Begrenzung im Programm ist aufzuheben.

Unverzichtbar ist die Öffnung von Schulen, Pausenhöfen, Turnhallen, Schwimmbädern etc. für Angebote der Ganztagsbetreuung sowie die Einbeziehung von Einrichtungen/Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der Jugendarbeit.
Aufgaben der Schulen sollen nicht mit dem Programm erfüllt werden.


Beteiligung der Eltern bei der Gestaltung der Angebote

Die Beteiligung bei der Gestaltung der Angebote ist unverzichtbar. Eltern sind nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vorrangig zur Erziehung ihrer Kinder berechtigt und zuvörderst hierzu verpflichtet. Ganztagsbetreuung ist keine Alternative zur elterlichen Erziehungsarbeit. Sie ergänzt die Arbeit der Eltern. Um ihren Kindern ihren Anspruch auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu erfüllen, bedürfen die Eltern der Unterstützung des Staates, § 1 Abs. 1 und 3 SGB VIII.


Struktur der Angebote

Die wachsende Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen, die es zu unterstützen und zu fördern gilt, erfordert altersgemäße bzw. entwicklungsgemäße verbindliche und offene Angebote, die allen Schüler/innen einer Schule als Anlaufstellen/Treffpunkte zur Verfügung stehen. Zu empfehlen sind offene Angebote mit Mittagsverpflegung, Hausaufgabenbetreuung und pädagogischer Freizeitgestaltung.

Welche Angebote konkret quantitativ und qualitativ geboten sind, ist im Rahmen der örtlichen Jugendhilfeplanung festzustellen.


Einsatz von Lehrern und die Anrechung ihres Einsatzes auf die staatliche Finanzierung

Die zunehmende Selbstständigkeit der mit dem Programm erreichten Schüler/innen ermöglicht eine flexible Handhabung von Betreuungszeiten, insbesondere in Verbindung mit Freizeitangeboten der Kinder- und Jugendhilfe bzw. der Jugendarbeit oder bei der Mitgestaltung durch ältere Schüler/innen. Deshalb ist die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen hinsichtlich Nutzungszeit und pädagogischem Konzept offensiv zu nutzen.

Das Miteinander (sozial-)pädagogischer Fachkräfte (Sozialpädagoginnen/-pädagogen, Lehrer/innen) ist als synergetische Kooperation notwendig. Daher sind Angebote hinderlich, die eher einem strikten Nebeneinander als Miteinander gelten. Die Präsenz von Lehrer/innen im Rahmen der Betreuung darf keinesfalls förderschädlich sein.


Bemessung von Elternbeiträgen

Bei der Bemessung von Elternbeiträgen ist vorrangig darauf zu achten, dass Eltern die Angebote auch tatsächlich annehmen können. Die Möglichkeit der Beitragserstattung bei entsprechender Bedürftigkeit ist vorzusehen. Ein festes und gebührenpflichtiges Angebot erreicht möglicherweise allein Schüler/innen (bzw. deren Eltern) der Jahrgangsstufen 5 und 6. Vor allem im Hinblick auf die Adressaten, die es vor allem zu erreichen gilt, ist eine kostenpflichtige Ganztagsbetreuung daher problematisch, weil eher akzeptanzschädlich.

Die Richtlinien wälzen das Kostenrisiko bei geringer Kinderzahl, abgemeldeten Kindern, Abbrüchen u. ä. auf die Träger ab. Dies ist nicht vertretbar. Notwendig ist deshalb eine Sockelfinanzierung für offene Angebote bzw. eine einrichtungsbezogene Förderung statt einer allein kinderzahlbezogenen Förderung.


Fokussierung der Angebote auf die Arbeit mit den maßgeblichen Problemlagen vor Ort

Es ist sicherzustellen, dass die sozialpädagogische Unterstützung der Betroffenen an Schulen tatsächlich und vorrangig auf die Arbeit mit den maßgeblichen Problemlagen vor Ort fokussiert wird. Hierfür sind ortsbezogene verbindliche Formen der Zusammenarbeit von Schule/Lehrer/innen, Trägern, Eltern und Kindern bzw. Jugendlichen einzufordern.

Die Vernetzung und Koordinierung mit anderen sozialpädagogischen Angeboten und Einrichtungen sowie zu bestehenden Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe ist zu gewährleisten.


Abschließende Bewertung

Der Einstieg in den schrittweisen Ausbau eines bedarfsgerechten Betreuungs- und Förderangebots für Schüler/innen der Jahrgangsstufen 5 bis 10 ist richtig, weil notwendig.

Insbesondere die Notwendigkeit der Sicherung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit und des Ausgleichs von Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen

macht den Ausbau vorhandener und die Einführung neuer Bildungs-, Betreuungs- und Förderangebote dringlich.

Die Anforderungen an Bildung und Erziehung von Schüler/innen erfordern außerunterrichtliche und außerschulische Bildungs-, Betreuungs-, Förderangebote mit unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen, die die öffentliche Verantwortung für das Gelingen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen verstärken.

Angebote im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe müssen den maßgeblichen Qualitätsstandards der Kinder- und Jugendhilfe bzw. Jugendarbeit genügen. Die Beteiligung der betroffenen Jugendlichen ist sicherzustellen. Eine enge Zusammenarbeit mit Eltern muss gewährleistet sein. Die Vernetzung und Koordinierung mit anderen sozialpädagogischen Angeboten und Einrichtungen ist unverzichtbar.

Die Akzeptanz, Wirksamkeit und Durchführbarkeit des Programms ist durch geeignete evaluative Maßnahmen zu überprüfen. Eine Revision des Programms entsprechend den Ergebnissen der Evaluation ist vorzusehen.

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