Verfahrenslotsen

Mit in Krafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes am 10. Juni 2021 führt der Bundesgesetzgeber schrittweise die Zuständigkeit für Leistungen für junge Menschen mit Behinderung unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe zusammen. Der Umsetzungsprozess soll dabei in drei Schritten erfolgen. Die Einführung des Verfahrenslotsen gem. § 10b SGB VIII steht zum 01. Januar 2024 an.

Dem Gesetzeswortlaut folgend werden die Verfahrenslotsen zwei grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen müssen, die sich an unterschiedliche Adressaten richten werden, aber gemeinsame Bezugspunkte haben können.

Begleitung und Unterstützung gem. § 10b Abs. 1 SGB VIII

Gem. § 10b Abs. 1 SGB VIII haben junge Menschen mit einem (potentiellen) Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gem. SGB IX bzw. § 35a SGB VIII und deren Familien, einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch einen Verfahrenslotsen. Laut Gesetzesbegründung soll der Verfahrenslotse anspruchsberechtigten junge Menschen und deren Familien durch das komplexe Sozialleistungssystem mit den unterschiedlichsten Leistungsansprüchen und Zuständigkeiten lotsen. Auch wenn § 10b Abs. 1 SGB VIII ausschließlich "Unterstützung" und "Begleitung" als Aufgaben benennt, sind diese Tätigkeiten immer auch mit Beratung verbunden. Andere Beratungsangebote, insbesondere gem. § 10a SGB VIII und §§ 32, 106 SGB IX bleiben davon unberührt bestehen.

Unterstützung des öffentlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für jungen Menschen gem. § 10b Abs. 2 SGB VIII

Als zweite Aufgabe sollen die Verfahrenslotsen gem. § 10b Abs. 2 SGB VIII den örtlichen öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in dessen Zuständigkeit unterstützen und den Wissenstransfer gewährleisten. Der Bundesgesetzgeber präzisiert die Aufgabe des Verfahrenslotsen dahingehend nur insoweit, dass dazu gegenüber dem örtlichen öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe halbjährlich Bericht erstattet werden soll. Die Berichterstattung soll insbesondere über Erfahrungen der strukturellen Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen, v. a. mit anderen Rehabilitationsträgern, erfolgen. Die Gesetzesbegründung nennt den Jugendhilfeausschuss als möglichen Adressat des Berichts. In welcher Form oder auch mit welchem konkreten Inhalt der Bericht erfolgen soll wird allerdings nicht weiter ausgeführt.

Eine nicht im SGB VIII angeführte Intention der Einführung von Verfahrenslotsen liegt in dem schrittweisen Aufbau von Kompetenzen aus der Eingliederungshilfe in die Kinder- und Jugendhilfebehörden.

Aufgaben des ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt

Das Bayerische Landesjugendamt berät und qualifiziert die örtlichen Träger und Fachkräfte der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe bei der Planung und Sicherstellung bedarfsgerechter Hilfeangebote sowie bei der Bearbeitung besonders schwierig gelagerter Einzelfälle. Hinzu kommen die Entwicklung fachlicher Empfehlungen bzw. anderweitiger Fachveröffentlichungen sowie die Durchführung von Fortbildungen und Fachveranstaltungen. Gerade in diesem Leistungsbereich spielt auch die Förderung interinstitutioneller und interdisziplinärer Zusammenarbeit an den Schnittstellen etwa zu den Trägern der Eingliederungshilfe, der Gesundheitshilfe sowie zur Schulverwaltung eine wichtige Rolle.

Das Bayerische Landesjugendamt begleitet in diesem Zusammenhang auch das bayerische Modellprojekt "Verfahrenslotsen" in der Kinder- und Jugendhilfe.

Bayerisches Modellprojekt "Verfahrenslotsen" in der Kinder- und Jugendhilfe

Der Bundesgesetzgeber eröffnet den Kommunen die Möglichkeit bereits vor dem 01.01.2024 Verfahrenslotsen einzuführen (vgl. § 107 Abs. 1 SGB VIII). Diese Möglichkeit wurde in Bayern aufgegriffen, so dass zur Erprobung, vorzeitigen Umsetzung und Erarbeitung landesweiter fachlicher Empfehlungen durch das Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales für den Zeitraum vom 01. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2023 Mittel des Bayerischen Landtages für ein Modellprojekt bereitgestellt wurden, mit dem Ziel bestehende Fragen und Unklarheiten zu klären bzw. in der Praxis zu erproben was sich bewähren könnte.

Aus den anlässlich eines bei den bayerischen Jugendämtern durchgeführten Interessensbekundungsverfahren eingegangenen 24 Projektskizzen mit den unterschiedlichsten konzeptionellen Ausrichtungen und Schwerpunkten wurden die folgenden Modellstandorte ausgewählt:

-             Landkreis Amberg-Sulzbach

-             Landkreis Günzburg

-             Landkreis Hof

-             Landkreis Mühldorf a. Inn

-             Landkreis Nürnberger-Land

-             Landkreis Wunsiedel i. F.

-             Kooperationsprojekt der Stadt Rosenheim und dem Landkreis Rosenheim

-             Kooperationsprojekt der Jugendämter der Region 10: Landkreis Eichstätt, Landkreis Neuburg Schrobenhausen, Landkreis Pfaffenhofen, Stadt Ingolstadt

-             Stadt München

-             Stadt Nürnberg

Bei der Auswahl wurde neben unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen (Ansiedlung im Jugendamt, Kooperationsmodelle, Qualifikation, Aufgaben-/Stellenteilung …) und angedachten Stellenanteilen, auch die Größe des Jugendamtes bzw. eine Verteilung über kreisfreie Städte und Landkreise berücksichtigt und möglichst eine Verteilung über die sieben Regierungsbezirke angestrebt.

Neben der engen Begleitung der Modellstandorte durch das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt, erfolgt eine übergeordnete Koordination und Steuerung des Modellprojektes durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, den Bayerischen Städtetag, dem Bayerischen Landkreistag, den Vorstand des bayerischen Landesjugendhilfeausschusses und durch das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt. Die Begleitung durch das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt wird über den Modellzeitraum hinaus drei Monate fortgeführt und endet im März 2024, mit einer Beschlussvorlage zu fachlichen Empfehlungen an den Bayerischen Landesjugendhilfeausschuss.

Fachbeiträge und Publikationen

Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ): Inklusion gestalten! Wie inklusive Hilfen zur Erziehung möglich werden können. Berlin 2022 

Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter: 157. Empfehlung zur Umsetzung der Verfahrenslotsen nach § 10b SGB VIII. Wiesbaden 2022

Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF): Positionspapier zum Verfahrenslotsen - § 10b SGB VIII. Heidelberg 2022

Eilers, Friederike: "Impu!se – Der Verfahrenslotse gemäß § 10b SGB VIII - Impulse für die Anforderungen und Umsetzung der neuen Aufgabe". AFET e.V. Newsletter Impu!se 10/2022. Hannover 2022

Fingerhut, Marie: Beginn des bayerischen Modellprojekts "Verfahrenslotsen" in der Kinder- und Jugendhilfe. ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungsblatt 04/2022. München 2022 (im Erscheinen)