MB_1_2019

02 T H EMA D I E AN L AU F - UND B E R A T UNG S S T E L L E F Ü R E H EMA L I G E H E I MK I ND E R Z I E H T B I L AN Z FACHTAGUNG HE IMK I NDHE I T EN Ende November 2018 war es Zeit, Bilanz zu ziehen – Betroffene, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Ver- waltung, Mitarbeitende von Wohlfahrts- und Sozialverbänden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen in die Evangelische Akademie Tutzing am Starnberger See, um die Arbeit des Fonds für ehemalige Heim- kinder Revue passieren zu lassen. Die 120 angereisten Gäste tauschten sich zwei Tage lang aus und verifizierten, was in den vergangenen sieben Jahren des Fonds Heimerziehung erreicht worden ist. „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ 1 2012 war die regionale Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder im Rahmen des Fonds „Heimer- ziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jah- ren 1949 bis 1975“ beim ZBFS – Bayerisches Landes- jugendamt (ZBFS – BLJA) eingerichtet worden. Rück- blickend hatte Hans Reinfelder, der Leiter des ZBFS – BLJA, allen Grund, die erfolgreiche Arbeit der Anlauf- und Beratungsstelle hervorzuheben und eine positive Bilanz zu ziehen: Zwischen 2012 und 2018 hatten sich rund 3.000 ehemalige Heimkinder bei der bayerischen Anlaufstelle gemeldet. Insgesamt waren ca. 34,5 Millio- nen Euro an Betroffene in Bayern ausgezahlt worden. Davon waren 9,25 Millionen Euro Rentenersatzleistun- gen. Damit sei Bayern Spitzenreiter in der Republik. „Aber das erlittene Leid lässt sich nicht durch Eurobe- träge ausgleichen“, so Hans Reinfelder. Immer wieder habe sich in den vielen Gesprächen gezeigt, wie wich- tig es sei, dem erfahrenen Leid Gehör zu verschaffen und Aufmerksamkeit zu schenken, so dass eine indivi- duelle Aufarbeitung erst möglich wurde. Als Hans Reinfelder sich im Namen der bayerischen Behörden bei allen Betroffenen für die körperliche, seelische und sexuelle Gewalt entschuldigte, herrschte im Forum mi- nutenlanges Schweigen. Anschließend machte der Historiker Uwe Kaminsky einen Abstecher in die Geschichte der Heime der Bun- desrepublik und der DDR, in der sich – trotz aller ideo- logischen Gegensätze – viele Parallelen fanden. Die Heime in der ehemaligen DDR waren personell ebenso schlecht ausgestattet wie die Heime im Westen und 1 Richard von Weizsäcker, Gedenkstunde im Bundestag, 08.05.1985 Gewalt in der Erziehung war – hüben wie drüben – an der Tagesordnung. Während sich jedoch in der Bun- desrepublik die Zustände in den Heimen durch die Im- pulse der 68er-Generation langsam veränderten, blieben die Verhältnisse in den ostdeutschen Heimen bis zum Zusammenbruch der DDR gleich. Interessant war auch die Bestandsaufnahme zur Aufar- beitung der Heimerziehung in der Bundesrepublik. Ka- tharina Bergmann, zuständige Referentin des Bundes- ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend (BMFSFJ) berichtete, dass 17.000 ehemalige Heimkinder aus dem Fonds West Leistungen im Wert von durchschnittlich 13.000 Euro erhalten hätten. Diese Summe setzt sich zusammen aus maximal 10.000 Euro an materiellen Hilfen und Rentenersatzleistungen. Den- noch seien diese Leistungen aber laut einer bis dato unveröffentlichten Evaluation für die meisten Betroffe- nen keine wirkliche Kompensation für das erlittene Leid gewesen. Auch die zweckgebundenen Mittel emp- fanden die meisten ehemaligen Heimkinder als Bevor- mundung. Insgesamt aber bewerteten fast 80 % der Befragten die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstellen als gut bis sehr gut und zwei Drittel waren auch mit den finanziellen Zuwendungen zufrieden. Eine Empfeh- lung der Evaluation: „Die heutige Heimerziehung kann viel aus der Geschichte lernen. Im Hinblick auf die SGB-VIII-Reform ergeben sich Bedarfe hinsichtlich Schutz und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Künftige Hilfesysteme sollten frühzeitig einsetzen und passgenaue Hilfen leisten.“ Am Nachmittag kamen Betroffene zu Wort. Die Le- bensgeschichten von zwei ehemaligen Heimkindern wurden im Forum als Tonaufzeichnungen abgespielt. Eindringlich schilderten sie darin ihre jahrelangen Ent- MITTEILUNGSBLATT 01-2019

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI4NDAy