Zentrum Bayern Familie und Soziales Bayerisches Landesjugendamt 01 THEMA 02 Jugendmedienschutz: Vorstellung des Jugendmedienschutzindex 2022 BERICHTE 07 Rückblick auf die Bayern-Tour 2022 des Frühe-Hilfen-Busses 09 Ifb: Fortbildung für Fachkräfte der Eltern- und Familien bildung zum Thema „Resilienz – Widerstandskraft in Krisenzeiten“ - Info 14 Bayerische Beratungsstelle für Menschen mit Heimerfahrung in der Kindheit und Jugend (BMH) geht an den Start! 15 Das Kunstwerk „In the name of“ von Bruno Wank 16 Inklusive Ausrichtung von Angeboten der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Bay ern - 22 Fortschreibung: Fachliche Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII 23 JaS: Aktuelle organisatorische Hinweise zum JaS-Fortbildungsprogramm und Anmeldeverfahren 24 JaS: Fachtagung „Das Kind als Problem !?“ in Nürnberg am 4. Oktober 2023 25 BAER: Jahresrückblick 2022 26 BAER: Die Medienbriefe 27 Personalia 27 Zu guter Letzt 2023
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 2 JUGENDMEDIENSCHUTZ Ausgangslage 2017 wurde von der Freiwilligen Selbstkontrolle Mult media (FSM) der erste Jugendmedienschutzindex zur Online-Nutzung von Kindern und Jugendlichen und der Sichtweisen ihrer Eltern in Auftrag gegeben, die vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und dem Leibniz-Institut für Medienforschung I Hans-Bredow-Institut durchgeführt, die spannende und aussagekräftige Ergebnisse zum Jugendmedienschutz lieferten. Nun ist der Jugendmedienschutzindex 2022 veröffentlicht worden, welcher als Folgestudie zu 2017 neue Erkenntnisse zum Umgang Kinder und Jugendli cher mit Online-Medien liefert, aber auch Anhaltspunkte für die Notwendigkeit, neue medienpädagogische An sätze auf einer breiten fachlichen Basis zu diskutieren und daraus gegebenenfalls politische Konsequenzen abzuleiten. i- - - Besonders die Herausforderungen während der Coro na-Pandemie und den damit verbundenen politischen Maßnahmen haben dazu geführt, dass sich die Le benswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen, zunehmend in ein digitales Umfeld verlagert hat. Dies verleiht der repräsentativen Befragung des Jugendmedienschutzindex 2022 einen besonderen Stellenwert. Dazu meint Martin Drechsler, der Geschäftsführer der FSM, zur vorliegenden Studie: - - „Wie unter einem Brennglas haben uns die letzten Jahre die Bedeutung von Jugendmedienschutz und Medienkompetenz im Alltag von Familien gezeigt. Im Vergleich zu 2017 sind die Sorgen der Eltern im Hinblick auf Online-Risiken größer geworden; mehr Kinder haben bereits negative Online-Erfahrungen gemacht. Uns war es wichtig, bei unseren Beobachtungen nicht an der Oberfläche zu bleiben, sondern nachzufragen: Welche Jugendschutzrisiken häufen sich stärker als andere in der Lebenswelt junger Menschen? Mit welchen Maß nahmen reagieren Eltern auf ihre eigenen Sorgen und die ihrer Kinder, und mit welchem Erfolg?“ - 1 Studienergebnisse Zielsetzung der Studie war es zu untersuchen, wie Kin der im Alter von 9 bis 16 Jahren und ihre Eltern onlinebezogene Risiken wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Dazu wurden zwischen März und Mai 2022 805 Haushalte in Deutschland zu folgenden vier Themenfel dern befragt: Onlinebezogene Sorgen, Einstellung zum Jugendmedienschutz, Fähigkeiten und Kenntnisse und jugendmedienschutz-bezogenes Handeln. Die Ergeb nisse werden im Folgenden kurz zusammenfassend dargestellt: - - - VORSTELLUNG DES JUGENDMEDIENSCHUTZINDEX 2022 T H EMA 1 vgl. Gebel, C.; Lampert, C.; Brüggen, N.; Dreyer, S.; Lauber, A.; Thiel, K. (2022): Jugendmedienschutzindex 2022. Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken. Ergebnisse der Befragung von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Herausgegeben von der FSM – Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V., S. 8. Abbildung 1: Cover des Jugendmedienschutzindex 2022. Quelle: Jugendmedienschutzindex 2022, S. 1.
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 3 Onlinebezogene Sorgen Sorgen im Zusammenhang mit der Online-Nutzung machen sich die befragten Eltern vor allem, dass ihre Kinder zu leicht mit risikobehafteten Inhalten oder mit Fremden in Kontakt kommen können, die ihnen scha den könnten. Auch dass ihre Kinder zu viel Zeit online verbringen könnten, war Anlass zur Sorge. - Die Heranwachsenden dagegen sorgten sich eher darüber, Opfer von Mobbing zu werden oder durch die Online-Nutzung negative Erfahrungen zu machen, auch was finanzielle Risiken betrifft. Vergleicht man die Daten mit der Erhebung aus 2017 stellt man fest, dass deut lich mehr Heranwachsende bereits mit diesen Risiken in Kontakt gekommen sind. So gibt fast jeder zweite Befragte an, bereits Erfahrungen mit unerwünschter Be lästigung bei der Nutzung von Online-Devices gemacht zu haben. - - Einstellungen zum Jugendmedienschutz Bei der Untersuchung, wie sich die Einstellung von Eltern und Heranwachsenden zum Jugendmedienschutz verändert hat, wurde festgestellt, dass hier bei den Zielgruppen eine verstärkte Sensibilität im Vergleich zu vor fünf Jahren vorhanden ist. Gleichzeitig hat auch der Teilhabe-Gedanke mehr Gewicht erhalten. Dies bedeu tet, dass eine freie Zugänglichkeit zu Online-Angeboten für Heranwachsende aus Sicht der Eltern immer wichtiger wird, besonders mit steigendem Alter. Interessant ist an dieser Stelle, dass befragte Eltern v. a. für jüngere Kinder technische Jugendschutzvorkehrungen schätzen, sie jedoch für unbedeutender gehalten werden, je älter die Heranwachsenden werden. Zudem wird die Wirk samkeit dieser Schutzmaßnahmen hinterfragt. Eltern fühlen sich dafür hauptverantwortlich, Vorkehrungen zu treffen, damit ihre Kinder möglichst wenigen Online Risiken ausgesetzt sind. Allerdings besteht der deut liche Wunsch, dass genau diese Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird und noch intensiver von Medienanbietenden, Politik, Kontrollgremien, Bildungs einrichtungen etc. wahrgenommen wird. - - - - - T H EMA Abbildung 1a: Überblick Eltern und Kinder. Quelle: Jugendmedienschutzindex 2022, S. 17. Abbildung 2: Besorgte Eltern und Heranwachsende. Quelle: Jugendmedienschutzindex 2022, S. 26.
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 4 Fähigkeiten und Kenntnisse Die Frage nach den jugendschutzbezogenen Kennt nissen und Online-Fähigkeiten bei Eltern ergab, dass nur knapp mehr als die Hälfte ihre Fähigkeiten als sehr gut oder gut bewerteten. Besonders bemerkenswert ist auch, dass Heranwachsende ab dem Alter von 13 bzw. 14 Jahren ihre eigenen Fähigkeiten, mit negativen Erfahrungen in der digitalen Welt umgehen zu können, höher einschätzten als die Kompetenz ihrer Eltern, sie bei negativen Erfahrungen unterstützen zu können. - Auffallend und in der Auswertung der Ergebnisse zu gleich als bedenklich eingeordnet ist die Feststellung, dass weder Eltern noch Kinder im ausreichenden Maß Hilfsangebote, Beschwerdestellen oder Meldemög lichkeiten bei risikobehafteten Inhalten oder Kontakten kennen bzw. nutzen. Im Vergleich zu 2017 nahm das Wissen um Hilfsangebote deutlich ab. - - Jugendmedienschutzbezogenes Handeln Bezüglich des jugendmedienschutzbezogenen Handels stellt der Jugendmedienschutzindex 2022 fest, dass „das schutzbezogene Handeln der Eltern [zwar] als wesentlicher Beitrag im deutschen Jugendmedienschutz system vorgesehen“ ist, jedoch „ist das entsprechende Engagement von Eltern mit Kindern ab elf Jahren im Vergleich zu 2017 geringer geworden.“ - 2 Hier zeigt sich ein deutlicher Konflikt zwischen einerseits einem erhöhten Schutzbedürfnis im Online-Bereich, andererseits jedoch eine verstärkte Teilhabeorientierung. Technischer Jugendschutz wird hauptsächlich bei jüngeren Kindern angewandt. Hingegen informiert sich nur ein Drittel aller befragter Eltern überhaupt über Online-Risiken und wie man diesen präventiv begegnen kann. Oft fehlt den betreffenden Eltern auch im Vergleich mit ihren Kindern die eigene User-Erfahrung von diversen Angeboten bei Social-Media, Online-Gaming oder Spiele-Apps, was es ihnen erschwert, möglicherweise vorhandene Risiken einschätzen zu können. T H EMA Abbildung 3: Zustimmung der Eltern zu Jugendschutzeinstellungen von Geräten. Quelle: Jugendmedienschutzindex 2022, S. 42. Abbildung 4: Online-Kompetenzen von Eltern und Kindern. Quelle: Jugendmedienschutzindex 2022, S. 53. 2 vgl. Gebel, C.; Lampert, C.; Brüggen, N.; Dreyer, S.; Lauber, A.; Thiel, K. (2022): Jugendmedienschutzindex 2022. Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken. Ergebnisse der Befragung von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Herausgegeben von der FSM – Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V., S. 12.
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 5 Handlungsbedarfe und Ausblick Welche Folgerungen lassen sich nun aus den Ergeb nissen dieser Untersuchung ziehen? Welche Hand lungsbedarfe werden offenbar und welche Strategien müssen neu angedacht werden, um diesen begegnen zu können? - - Durch die Reform des Jugendschutzgesetzes wurden bereits neue Wege beschritten, den Jugendmedien schutz durch Vorsorgemaßnahmen und der Verringerung von Interaktionsrisiken deutlich zu stärken. Auch mit der neu geschaffenen Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz wird angestrebt, betroffene Kinder und Jugendliche z. B. durch den neu gegründeten Be rat, noch mehr in fachliche Diskussionen und der daraus abgeleiteten Bildung von Handlungsoptionen einzube ziehen. So erscheint der aktuelle Jugendmedienschutz bereits gut aufgestellt, auch wenn neue Strukturen sich erst noch umfassender etablieren müssen. - i- - Konflikt zwischen erhöhtem Risikobewusstsein und verringertem Handeln Die Autorinnen und Autoren des Jugendmedienschutz index zeigen sich dennoch besorgt über einige der vorliegenden Ergebnisse. „Die Veränderungen und Ver schiebungen gegenüber der letzten Befragung sind teil weise drastisch.“3 So kann beispielsweise nicht schlüs sig erklärt werden, wie die große Diskrepanz zwischen gesteigerten Sorgen, gesteigertem Schutzbedürfnis und gleichzeitig einer Abnahme medienpädagogischen - - - - Handelns und geringerer Informationsbereitschaft der Eltern zustande kommt. Eine Hypothese könnte hier eine Ermüdung der Eltern durch die Herausforderung der Corona-Pandemie darstellen, eine Art Resignation vor den vielfältigen Anforderungen, Angeboten und neuen Nutzungsformen digitaler Dienste. Eine weitere Hypothese fragt, ob der Jugendmedienschutz vielleicht (noch) nicht die richtigen Angebote macht, damit er die befragten Zielgruppen tatsächlich erreichen kann? Eine Antwort auf diese differenzierten Fragestellungen kann der Jugendmedienindex 2022 nicht geben. Jedoch wäre es wünschenswert, wenn die Ursachen dieser Konflikte vertieft untersucht würden. Niederschwelliger Zugang zu Hilfsangeboten Die Befragung zeigt auf, dass es zwingend einer Verbe serung beim niederschwelligen Zugang zu Hilfsangebo ten, Unterstützungsmöglichkeiten und beim Beschwer demanagement bezüglich risikobehafteter Inhalte und Kontaktmöglichkeiten sowohl für Eltern als auch für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum bedarf. Zwar sind diese bereits vorhanden, jedoch eventuell nicht leicht zu entdecken, zu nutzen oder die Hürde, diese zu nutzen, noch zu hoch. Eine verbesserte Benutzerfreund lichkeit in der Funktionalität von Tools und verstärke Aufklärung der entsprechenden Anbieter, aber auch der Ausbau medienerzieherischer Angebote und die prominente Platzierung zuverlässig funktionierender Be schwerde- oder Hilfsfunktionen wäre wünschenswert, damit die Hilfe im jeweiligen Moment dort ankommen kann, wo sie benötigt wird, und belastende Situationen mithilfe professioneller Stellen besser bewältigt werden können. s- - - - - Akzeptanz von Schutzmaßnahmen Schutzmaßnahmen sollten möglichst erziehungskompa tibel sein, damit eine größere Akzeptanz dieser erreicht werden kann. Wie sich in den Ergebnissen der Befra gung widerspiegelt, ist die Online-Nutzung von Heran wachsenden oftmals ein konfliktgeladenes Diskuss onsfeld zwischen Eltern und ihren Kindern. Hier wäre es hilfreich, wenn einerseits verbesserte technische Schutzvorrichtungen entwickelt würden, die für Eltern leicht handhabbar und altersentsprechend angewandt werden können, damit die unbeschwerte Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aller Altersgruppen im digita len Raum besser gewährleistet werden kann. - - - i- - T H EMA Abbildung 5: Engagement der Eltern für den Schutz ihres Kindes vor Online-Risiken. Quelle: Jugendmedienschutzindex 2022, S. 71. 3 vgl. Gebel, C.; Lampert, C.; Brüggen, N.; Dreyer, S.; Lauber, A.; Thiel, K. (2022): Jugendmedienschutzindex 2022. Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken. Ergebnisse der Befragung von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Herausgegeben von der FSM – Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V., S. 80.
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 6 T H EMA Andererseits bräuchte es eine beständige, aktuelle und auf breiter Ebene sichtbare medienpädagogische Aufklärung Erziehender und pädagogischer Fachkräfte über vorhandene Risikopotentiale und Möglichkeiten, Unterstützung bei der Frage zu erhalten, wie man me dienerzieherisch Kinder und Jugendliche altersadäquat in ihrem medialen Alltag begleiten kann. - Für Kinder und Jugendliche scheint es wichtig, ihnen einerseits mithilfe passgenauer pädagogischer Angebo te Risiken und Schutzmaßnahmen zu erklären, anderer seits daran zu arbeiten, ihre Resilienz- und Coping-Stra tegien auszubauen. - - - Mehr Angebot, weniger Verbot Die unbeschwerte Teilhabe bei der Nutzung von Online- Medien für Kinder und Jugendliche ist ein wichtiges Kriterium für einen gelingenden Jugendmedienschutz, jedoch wird angemerkt, dass der Fokus hierauf nicht ausreichend ist, um in Zukunft den wachsenden He rausforderungen im Jugendmedienschutz gerecht zu werden. Vielmehr sind alle Akteurinnen und Akteure aufgefordert, Konzepte weiterzuentwickeln, die zwar Schutzansätze und technische Lösungen bei der Be wältigung von Kommunikations- und Interaktionsrisiken berücksichtigen, jedoch bedarf es eines erweiterten Angebots an unterstützenden Handlungsstrategien, die sowohl das Medienhandeln von Kindern und Jugendli chen als auch das medienerzieherische Handeln ihrer Eltern stärker berücksichtigt. - - - Klar ist, dass der Jugendmedienschutz nur dann funktionieren kann, wenn er alle Altersgruppen der Her anwachsenden und der Eltern anspricht: „Wie schon immer hängt auch hier die erfolgreiche Umsetzung von Schutzkonzepten im Jugendmedienschutz von der - Akzeptanz und Mitwirkung der Eltern und letztlich auch der Kinder und Jugendlichen ab.“4 Die Autorinnen und Autoren des Jugendmedienschutzindex empfehlen, in diese Diskussion verstärkt die Sichtweisen der Heran wachsenden und der Eltern miteinzubeziehen, damit nicht „top-down“ über die Bedürfnisse derjenigen, die im besonderen Maße angesprochen werden sollen und einen großen Teil der Verantwortung in der Umsetzung des Jugendmedienschutzes tragen, hinweggeplant wird. Dabei scheint es zwingend erforderlich, Koope rationen zwischen allen verantwortlichen Akteurinnen und Akteuren im Jugendmedienschutz auszubauen, um neue Schutz- und Teilhabe-Konzepte zielgerichtet, pass genau und nutzerfreundlich entwickeln zu können. - - - Weitere Informationen zum Jugendme dienschutzindex 2022 und die gesamten Ergebnisse können Sie auf der Homepage der FSM herunterladen: - https://bit.ly/3YjdQyN 4 vgl. Gebel, C.; Lampert, C.; Brüggen, N.; Dreyer, S.; Lauber, A.; Thiel, K. (2022): Jugendmedienschutzindex 2022. Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken. Ergebnisse der Befragung von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Herausgegeben von der FSM – Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V., S. 84. CHRISTINE H I E ND L
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 7 FRÜHE HILFEN Die Tour des Frühe-Hilfen-Busses in Bayern wurde, wie schon im Mitteilungsblatt 3/22 berichtet, gemeinsam vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH), der Agen tur Sinus, der Landeskoordinierungsstelle Frühe Hilfen im ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt (ZBFS-BLJA) und den KoKi-Fachkräften der teilnehmenden Landkrei se konzipiert. - - Zum ersten Durchlauf im Herbst 2022 haben wir viel po sitives Feedback erhalten. Sowohl von den Familien, die sich am Bus über das vielfältige Angebot der KoKi-Netz werke informiert haben, als auch von den Fachkräften, die den Kontakt mit den Familien in diesem Format als sehr bereichernd erlebt haben. - - Auch die Mitarbeitenden der Landeskoordinierungsstelle im ZBFS-BLJA waren bei einigen Einsätzen vor Ort dabei und konnte sich ein eigenes Bild machen. Der Ein druck, dass die lokalen Frühen Hilfen durch das Projekt auf eine andere Art und Weise einen vertrauensvollen Kontakt zu den Familien herstellen konnten, hat sich bestätigt. Wenn auch der Zulauf, wetterbedingt, sehr unterschiedlich war. - Am Bus konnten sich Familien über die spezifischen Angebote der Frühen Hilfen in ihrem Landkreis infor mieren. Die Fachkräfte aus dem KoKi-Netzwerk frühe Kindheit standen den Schwangeren und Eltern außer dem für Fragen und auf Wunsch direkt zur Beratung im gemütlichen Bus zur Verfügung. - - Väter und Mütter, vor allem aber die Kinder, konnten auch einfach nur Spaß haben beim gemeinsamen Spiel mit den altersentsprechend anregenden Spielen aus dem Bus. Impressionen der vergangenen Tour-Termine: „Die Frühen Hilfen sind da!“ Mit diesem Motto waren die Frühen Hilfen im Herbst 2022 in den KoKi-Netzwerken frühe Kindheit auf Tour – neue Termine gibt es auch in diesem Jahr. RÜCKBLICK AUF DIE BAYERN-TOUR 2022 DES FRÜHE-HILFEN-BUSSES B E R I C H T E Abbildung 1: Marktplatz Wilhelmsdorf, Bild: Anja Pondorf, ZBFS-BLJA Abbildung 2: Mutter und Tochter beim Spielangebot in Großhabersdorf, Bild: Anja Pondorf, ZBFS-BLJA
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 8 B E R I C H T E AN J A P ONDO R F Das Modellprojekt „Frühe Hilfen sind da!“ wird aus Mitteln der Bundesstiftung Frühe Hilfen im Rahmen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona“ finanziert und läuft bis Ende 2023. 2023 wird die Tour in den Kommunen von 2022 wie derholt und erstmalig fährt der Frühe-Hilfen-Bus heuer im Sommer auch in die Landkreise Ansbach, Bayreuth, Regen, Regensburg und Roth, Donau-Ries und nach Landsberg/Lech, sodass sich insgesamt zehn bayeri sche Kommunen an dem Projekt beteiligen. - - Das Modellprojekt wird nach seiner Umsetzung bun desweit vom NZFH ausgewertet im Hinblick darauf, ob mobile Frühe Hilfen (werdende) Eltern im ländlichen Raum besser erreichen können. Auch darüber werden wir wieder berichten. - Weiterführende Informationen: Informationen zum KoKi-Förderprogramm: www.koki.bayern.de Informationen zu den Frühen Hilfen beim ZBFS-BLJA : https://bit.ly/3SMKPug Informationen zum Projekt sowie den aktuellen TourPlan bietet die Website des NZFH für Eltern: https://bit.ly/3ZCysmq Hintergrundinformationen und Studien des NZFH zu Frühen Hilfen in ländlichen Räumen: https://bit.ly/3ELKMJ3 Informationen zur Bundesstiftung Frühe Hilfen und zum Fonds Frühe Hilfen: https://bit.ly/3ETYpGh 17.09.2022 Landkreis Fürth „Out of the Box“ in Tuchenbach 25.09.2022 Landkreis Forchheim Herbstfest Wildpark Hundshaupten 15.10.2022 Landkreis Fürth Rathaus Großhabersdorf (morgens), Marktplatz Wilhermsdorf (nachmittags) 17.10.2022 Landkreis Oberallgäu Rathausplatz Kempten
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 9 B E R I C H T E Hintergrund: Das Förderprogramm zur strukturellen Weiterbildung kommunaler Familienbildung und von Familienstützpunkten Bayernweite Anlaufstellen für Fragen rund um Familie und Erziehung, passgenaue und koordinierte Angebo te für alle Eltern und wirksame Netzwerkstrukturen in Kommunen – das sind zentrale Ziele des bayernweiten „Förderprogramms zur strukturellen Weiterbildung kommunaler Familienbildung und von Familienstützpunkten“. Bereits über die Hälfte der 96 Städte und Landkreise Bayerns profitiert von diesem Programm des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS). Wissenschaftlich begleitet wird es vom Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb), einer nachgeordneten Behörde des StMAS und zugleich ein An-Institut der Otto-Friedrich- Universität Bamberg. Es unterstützt die Weiterentwick lung kommunaler Familienbildung und deren Umsetzung vor Ort mittels Datenerhebungen und -analysen, Work shops und fachlicher Beratung von Kommunen. Darü ber hinaus organisiert das ifb jedes Jahr einen großen Fortbildungstag für Fachkräfte in Familienstützpunkten und in Jugendämtern teilnehmender Kommunen. - - - - Resilienz ist trainierbar Am 7. November 2022 lud das ifb für den alljährlichen Fortbildungstag in das Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg. Unter dem Titel „Resilienz – Widerstands kraft in Krisenzeiten“ hatte er das Ziel, Fachkräfte der Eltern- und Familienbildung für das Thema Resilienz zu sensibilisieren, sie zu bestärken und zu fördern. Mittels Vorträgen und Workshops wurden wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt und praktische Anregungen zur Stressbewältigung an die Hand gegeben, die sie für - sich selbst nutzen und im Rahmen ihrer pädagogischen Arbeit auch an Familien weitergeben können. Doris Lüken-Klaßen und Melanie Göß als Tagungsleitun gen vom ifb, Rainer Zacherl als Vertreter des StMAS, Dr. Sandra Krapf als stellvertretende Leitung des ifb und das ifb-Team freuten sich über die 180 Gäste und spra chen ein herzliches Willkommen aus. In der inhaltlichen Einführung veranschaulichte Doris Lüken-Klaßen die Parallelen einer Steh-Auf-Puppe mit dem gegenwärtigen Familienleben: „Wir sind doch oft wie diese Puppe: Wir stehen da. Wir lächeln. Dann erschüttert uns etwas und wir kommen ins Wanken. Wir wackeln – mal kurz, mal lang –, wir lächeln, wir stabilisieren uns. Und machen weiter.“ Genau wie einer Steh-Auf-Puppe wird auch Eltern Flexibilität und Agilität abverlangt. Und Resilienz. - - „Stressbewältigungskompetenz gilt als Kernqualifikation des 21. Jahrhunderts“, konstatierte sodann auch Dr. Donya Gilan, Psychologin und Leiterin des Bereichs ReFACHTAG DES STAATSINSTITUTS FÜR FAMILIENFORSCHUNG (IFB) FORTBILDUNG FÜR FACHKRÄFTE DER ELTERN- UND FAMILIENBILDUNG ZUM THEMA „RESILIENZ – WIDERSTANDSKRAFT IN KRISENZEITEN“ Die Corona-Pandemie, die Energiekrise und der Fachkräftemangel bedeuten für die Kinder- und Jugendhilfe er schwerte Zeiten in einem von Natur aus bereits herausfordernden Arbeitsumfeld. Das Staatsinstitut für Familienfor schung an der Universität Bamberg (ifb) organisierte daher einen Fortbildungstag zum Thema „Resilienz – Wider standskraft in Krisenzeiten“. Rund 180 Fachkräfte der Eltern- und Familienbildung kamen am 7. November 2022 in Nürnberg zusammen, um sich auszutauschen und fortzubilden. - - - Abbildung 1: Doris Lüken-Klaßen stellte das Wanken in Krisenzeiten bildhaft mit einer Steh-Auf-Puppe dar. Foto: Regina Neumann
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 10 B E R I C H T E silienz und Gesellschaft am renommierten Leibniz-Insti tut für Resilienzforschung in Mainz, in ihrem Vortrag. Sie beschrieb Resilienz als „Aufrechterhaltung oder Rück gewinnung der psychischen Gesundheit während oder nach widrigen Lebensumständen“. Die Verantwortung dafür liege nicht nur beim Individuum. Auch Arbeitge bende und Politik seien zur Resilienzförderung aufge rufen. In ihrem Vortrag betonte sie, dass Resilienz ein dynamisches Wechselspiel – ein Anpassungsprozess – zwischen Person und Umwelt sei. Förderliche Faktoren seien Optimismus, aktives Coping, Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung, kognitive Flexibilität, Spiritualität, Erleben positiver Emotionen, Selbstwert- und Kohärenz gefühl. Ihre wichtigste Botschaft: „Diese Faktoren sind trainierbar und führen zu einer Stärkung psychischen Wohlbefindens und zur Senkung körperlicher Stressre aktionen.“ - - - - - - Workshops rund um die „Sieben Säulen der Resili enz“ - Der Fortbildungstag wurde von den Tagungsleiterin nen am Konzept der „Sieben Säulen der Resilienz“ ausgerichtet: Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorien tierung, Selbstreflexion, Selbstfürsorge, Beziehungen und Zukunftsplanung. Diese Säulen können sowohl als Grundhaltungen als auch als Praktiken verstanden werden, als eine menschliche Grundausstattung psychi scher Widerstandskraft, die lebenslang aktiv beeinflusst werden kann. Entlang dieser Säulen boten Expertinnen und Experten Workshops mit theoretischem Input und interaktiven Übungen an. - - - Säule Optimismus Realistisch optimistisch – zu dieser Grundhaltung ermutigte Dr. med. Constance Spring, Ärztin, Systemi sche Therapeutin und Systemische Körpertherapeutin, in ihrem Workshop „Mentale Gesundheitsprävention“. Dabei sind förderlich: Vertrauen in die Zukunft, eigenver antwortliches Handeln, positive Emotionen, aktive Suche nach Lösungen und Selbstwirksamkeit. Insbesondere Dankbarkeit wurde als Kernmechanismus von Resilienz, mentaler Gesundheitsprävention und einer gesunden Le bensführung erachtet. Die Expertin veranschaulichte, wie entsprechende Ressourcen ermittelt und eigene Kom petenzen sowie Handlungsspielräume wahrgenommen und trainiert werden können und inwiefern dies zyklisch miteinander verbunden ist. Den Teilnehmenden gab sie eine Dankbarkeitsübung mit: Sich jeden Morgen drei Dinge bewusst zu machen, für die man dankbar ist, und diese auf einem Zettel zu notieren, könne dabei helfen, eine optimistische Grundhaltung zu erlangen. - - - - Säule Akzeptanz Mit dem Appell „BurnOn statt BurnOut“ bot Prof. Dr. med. Georg Schürgers, Arzt für Psychiatrie, Psychothe rapie, psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, einen Workshop zur Säule Akzeptanz an. Alle Menschen verfügten über drei grundsätzliche Kompetenzbereiche: Wissen, Können und Einstellung gepaart mit Erfahrun gen. „Wissen über Stress allein jedoch führt nicht unbe dingt zu einer Stressreduktion“, so der Experte. Die drei Ressourcen Wissen, Können und Einstellung stünden zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich im Fokus, seien jedoch in Form mentaler Veränderungsprozesse flexibel. In diesem Zusammenhang sei es elementar wichtig, an den eigenen Erwartungen zu arbeiten, nach Alternativen zu suchen und Entscheidungen zu treffen, um das Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen und letztendlich Stress zu reduzieren. Neben Hintergrundin formation zu den Mechanismen von Stress wurden hilf reiche Strategien besprochen: ein frühes freundliches Nein als Schutzhandlung, die Beachtung von Warnsigna len für Überbelastung, Humor, Bewegung und Leben im Moment. - - - - - - Säule Lösungsorientierung Zur Säule Lösungsorientierung hielt Serap Özalp als aus gebildete Mediatorin den Workshop „Kommunikation und Mediation“. Im Fokus stand die Macht der Worte und die Frage, wie auch in Konfliktsituationen neue sprachliche Wege gefunden werden können, um Kom munikation gelingend zu gestalten. Ein Kernaspekt gelin gender Kommunikation sei es, Gesprächspartnerinnen, Gesprächspartner und sich selbst auf der Bedürfnisebe ne abzuholen und im Anschluss daran gemeinschaftlich auf der Sachebene Lösungen zu erarbeiten, um eine Kommunikationsbalance zu schaffen. Wertfreies, akti ves Zuhören, sensible Wortwahl ohne „Killer-Wörter“ (wie „aber“, „immer“, „eigentlich“, „passt schon“) und lösungsorientierte Sprache öffnen Kommunikation und dienen zur Lösung von Konflikten. Nonverbale toxische Körpersprache (wie verschränkte Arme, hochgezogene Schultern, negative Gestik und Mimik) gelte es wieder um zu vermeiden. In verschiedenen Übungen erlebten die Fachkräfte, wie eine gute Kommunikation das Selbst und die Verbindung mit dem Gegenüber stärkt und so einen Teilaspekt resilienten Verhaltens darstellt. - - - - - - Säule Selbstreflexion Dass ausgerechnet ein Begriff aus dem Straßenverkehr dabei hilft, Stress zu verstehen, erfuhren die Fachkräfte im Workshop von Annette Kuhr. Die Kommunikations fachwirtin und IHK-zertifizierte Fachberaterin zur -
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 11 B E R I C H T E Burnout-Prävention befasste sich mit der Resilienzsäu le Selbstreflexion und legte hierbei den Fokus auf das Thema Stressmanagement. Mittels einer so genannten „Stressampel“ veranschaulichte sie, dass Stressoren von außen kommen, Stressverstärker und Stressreak tionen hingegen innerlich ablaufen. Stressverstärker könnten Stressoren positiv oder negativ beeinflussen, sie dadurch verringern oder verstärken. Das Stressemp finden und auch Stressreaktionen als Antwort auf das Stressempfinden könnten verringert werden, selbst wenn Stressoren selbst nicht reduziert werden könnten. - - - „Als Ziel gilt es, die eigene Stresskompetenz zu stär ken, Resilienz zu fördern, Stress langfristig zu bewälti gen und einen entspannten Umgang mit sich selbst zu entwickeln“, resümierte Annette Kuhr und legte den Teilnehmenden ans Herz, Termine mit sich selbst zu vereinbaren und genauso wahrzunehmen wie andere Termine. - - Säule Selbstfürsorge Atmen, Lächeln und Innehalten. Was so einfach klingt, kann in manchen Situationen durchaus herausfordernd sein. Bei der Regulation der eigenen Emotionen ist die sogenannte „ALI-Methode“ hilfreich, die erlernt und geübt werden könne. Diese und mehr Techniken bekamen die Workshopgäste von Silke Lengemann an die Hand. Sie ist zertifizierte Entspannungspädagogin und Trainerin für „Mindfulness-Based Stressreduction“ (MBSR – ein etabliertes Programm zur Stressbewälti gung durch Achtsamkeit) und startete mit einer stillen Atmungs- und Achtsamkeitsübung in ihren Workshop zur Säule der Selbstfürsorge. Achtsam zu sein bedeute, so die Workshopleiterin, „bewusst diesen Moment (zu) erleben, möglichst ohne ihn zu bewerten“. Im theoreti schen Teil betonte die Expertin die Diskrepanz zwischen Mythos und Wirklichkeit des Resilienzkonzepts: Resili enz impliziere nicht eine ständige Glückseligkeit wie in einer Blase – frei und unantastbar von äußeren Einflüs sen –, sondern vielmehr das Durchwandern von Krisen inklusive Fallen und Liegen, aber auch Aufstehen und Weitermachen. - - - - Säule Beziehungen „Nein.“ Gerade dort, wo Menschen mit Menschen arbeiten und Unterstützungsbedarfe gesehen werden fällt dieses kleine Wort besonders schwer. Und doch gehört auch das Neinsagen zur Pflege von Beziehungen und zur Stärkung von Resilienz. Im Workshop „Grenzen setzen“ von Nikola Richter ging es darum, genau dies zu üben. Die Kommunikationstrainerin und Beraterin in der Erwachsenenbildung erklärte, dass die Ansprüche an die eigene Person, verbunden mit äußeren Idealen, die Akzeptanz von eigenen Grenzen erschwere. Sie appellierte, dass es möglich sei, sich abzugrenzen, Selbstsorge zu betreiben, „Nein“ zu sagen und dennoch für andere da zu sein. „Sie sind der wichtigste Mensch in ihrem Leben!“, so die Referentin. Grenzen setzen bedarf eines guten Selbstbewusstseins und ist auch immer zugleich ein Abwägungsprozess, denn dabei sei jedes Mal eine gewisse Konfliktbereitschaft notwen dig. Zudem könne ein „Nein“ vorläufig zu Irritationen im Umfeld führen, langfristig jedoch zu mehr Klarheit. Die Fachkräfte lernten sieben Möglichkeiten kennen, „Nein“ zu sagen: Alternativen anbieten, Folgen verdeut lichen, dramatisieren, spiegeln, konsequent bleiben, um Verständnis werben und ein klares kurzes: „Nein“. , - - Säule Zukunftsplanung Was machen Pfeifenputzer und Wattebäusche, Knete und Schnüre in einem Resilienzworkshop zur Zukunfts orientierung? Mit diesen und anderen Baumaterialien wurden die Fachkräfte nach einer kurzen inhaltlichen Einführung dazu aufgefordert, eine festgefahrene Situation nachzubauen. Dieses 3D-Modell sollte danach aus allen Himmelsrichtungen betrachtet, anhand von Kernfragen analysiert und im Anschluss positiv ver ändert werden. Ganz und gar nicht theoretisch blieb - - Abbildung 2: Die Stressampel nach Kaluza, Foto: Annette Kuhr
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 12 B E R I C H T E damit der Workshop von Sophie Oertel mit dem Titel „Einführung in die Theorie U“. Die Referentin, beraten de Betriebswirtin mit den Schwerpunkten Moderation, Changemanagement und Führungskräfteentwicklung, formulierte die Problematik kollektiver Entscheidungs prozesse bei Zukunftsfragen: „Together, we are cre ating results that nobody wants“. Anders sei dies bei der Kreativ-Methode „Theorie U“: Anhand spezifischer Schritte entlang eines u-förmigen Prozesses könnten ganzheitliche Veränderungen in Menschen, Teams oder Organisationen angeregt werden. Der Workshop sorgte für viele Aha-Momente und stieß unmittelbar Verände rungsprozesse an. - - - - Im zweiten Zukunfts-Workshop lernten die Fachkräfte theoretisch und praktisch, wie sie ihre eigene Zukunft mit kreativen Ideen positiv gestalten können. Konstanze Walde, IHK-zertifizierte Business Coachin, Supervisorin und Achtsamkeitstrainerin, vermittelte, wie das Zusam menspiel von Selbstmanagement, Selbstwahrnehmung und Selbstentwicklung die kreative Persönlichkeits entwicklung ermöglicht. Für das Selbstmanagement beispielsweise sei es wichtig, Auszeiten zu nehmen, In seln zu schaffen, Hobbys nachzugehen und Bewegung, Natur und Medienpausen in den Alltag einzubauen. Bei der Imaginations- und Bewegungsübung „Heute in 10 Jahren“ sollten die Fachkräfte ein Ziel visualisieren, das sie in zehn Jahren erreichen möchten. Sie sollten sich den Weg dorthin vorstellen und nachfühlen und sich dabei als flexibel, innerlich stark und anpassungsfähig erleben. Außerdem setzten sie sich in einer Reflexions übung mit ihrem Selbstbild und ihrer eigenen Art im Umgang mit Krisen auseinander. - - - - Resümee und Ausblick Nachdem die Kernbotschaft im Hauptvortrag lautete, dass die eigene Resilienz und die Resilienz von Familien als dynamisches Konzept auf positive Weise beein flussbar sind, lernten die Fachkräfte in den Workshops Konzepte, Techniken und Ideen kennen, wie sie die ver schiedenen Faktoren der Resilienz positiv beeinflussen können, um letztendlich Stress zu reduzieren und das Wohlbefinden zu steigern. Zentral für die psychische Gesundheit ist es, Grenzen zu ermitteln, zu setzen, zu kommunizieren und zu wahren. Ebenso ist eine selbst fürsorgliche, selbstverantwortliche und selbstreflexive, ressourcenorientierte Grundhaltung förderlich für resili entes Verhalten. - - - - Doris Lüken-Klaßen resümierte, dass jeder Mensch sich und seine Resilienz verändern und stärken könne. Dadurch ließen sich auch Teile des Systems verändern – nicht jedoch das gesamte Gefüge. Bei der Stärkung der Resilienz gehe es daher nicht darum, Arbeitskräfte maximal aufzubauen, um sie dann maximal auszubeu ten. „Schließlich sind wir keine Steh-Auf-Püppchen, sondern Menschen. Also lassen Sie uns gut auf uns selbst und aufeinander achtgeben.“ Melanie Göß zog gut gelaunt Fazit: „Ich hoffe, dass Sie alle etwas mit nehmen konnten. Und wenn Sie etwas, das Sie heute gewonnen haben, in Ihrer Multiplikationsfunktion an die Eltern und Familien weitergeben, dann profitieren ganz viele Menschen von der heutigen Veranstaltung.“ - - Abbildung 3: Die Teilnehmenden setzten sich mittels 3D-Modelling praktisch und kreativ mit der Lösung eines persönlichen Problems ausei nander. Foto: Regina Neumann -
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 13 B E R I C H T E Zum Nach- und Weiterlesen Gilan, D., Helmreich, I. & Hahad, O. (2021): Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft: Was die Wissenschaft dazu sagt. Freiburg im Breisgau: Herder. Neumann, R. & Lüken-Klaßen, D. (2022): Eltern- und Fa milienbildung – koordiniert und bedarfsgerecht, vernetzt und wohnortnah. Das Förderprogramm zur strukturellen Weiterentwicklung kommunaler Familienbildung und von Familienstützpunkten. München: Bayerisches Staatsmi nisterium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS). - - Neumann, R., Lüken-Klaßen, D. & Kötting, J-H. (2021): Familien im Fokus. Das Förderprogramm zur strukturel len Weiterentwicklung kommunaler Familienbildung und von Familienstützpunkten. In: Mitteilungsblatt 2021/3. Zentrum Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt (BLJA). München, S. 13-18. - REGINA NEUMANN MELANIE GÖSS DORIS LÜKEN-KLASSEN Abbildung 4: Dieses Team vom ifb führte den diesjährigen Fortbildungstag durch. Foto: ifb
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 14 Im Jahr 2018 lief der Fonds „Heimerziehung in der Bun desrepublik Deutschland“ aus. Dieser richtete sich an Menschen, die als Minderjährige in einem Heim der Kin der- und Jugendhilfe untergebracht waren und dort Leid erfahren haben. Von 2017 bis 2022 gab es außerdem die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“, die Betroffene aus der stationären Behindertenhilfe und der Psychiatrie begleitete und unterstützte. Das Zentrum Bayern Fami lie und Soziales (ZBFS) - Bayerisches Landesjugendamt hat im Rahmen der Arbeit beider Anlauf- und Beratungs stellen über 7.000 Menschen erreicht und insgesamt 60 Millionen Euro an finanziellen Leistungen an die Betrof fenen ausgezahlt. Aufgrund der bundesweit von vorne herein feststehenden zeitlichen Befristung haben beide Beratungsstellen mittlerweile ihre Arbeit eingestellt. - - - - - Nach wie vor besteht jedoch ein hoher Bedarf an Beratung und Unterstützung bei Menschen mit Heimer fahrung in ihrer Kindheit und Jugend. Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) hat deshalb die Mittel bereitgestellt für eine dauerhafte Beratungsstelle für alle Menschen, die als Minderjährige in einem Heim untergebracht waren und heute keinen Anspruch mehr auf Jugendhilfeleistungen haben. Die Trägerschaft liegt beim ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt. - Das Besondere und bundesweit Einzigartige ist, dass sich das Angebot an alle Menschen mit Heimerfahrun gen aus der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenhil fe, den psychiatrischen Einrichtungen und den ehemali gen Erholungs- und Kurheimen („Verschickungskinder“) richtet. Zudem können sich nun auch Menschen, die nach 1975 in einer institutionellen Einrichtung waren, an die neue Beratungsstelle wenden. - - - Die Bayerische Beratungsstelle bietet Raum für ver trauensvolle Gespräche und die Möglichkeit der Aus einandersetzung mit den eigenen Erinnerungen der Heimunterbringung. Zudem suchen die Beraterinnen und Berater gemeinsam mit den Betroffenen nach indi viduellen Bewältigungsstrategien und informieren über Angebote zu finanziellen Leistungen. - - - Neben dem psychosozialen Auftrag wird mittels einer lebendigen Erinnerungskultur der Prozess der histo risch-gesellschaftlichen Aufarbeitung in der Heimerzie hung forciert, um auch in Zukunft eine bedarfsgerechte Gestaltung der stationären Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen. - - Informationen über das Angebot der Beratungsstelle sowie deren Kontaktdaten finden Sie hier: https://bit.ly/3SJN2Xa I N F O NEUES BERATUNGSANGEBOT Das ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt hat ein neues Beratungsangebot für Menschen mit Heimerfahrung. Darin werden die bisherigen Betätigungen des Landes zu einem neuen Angebot gebündelt und für weitere Zielgruppen geöffnet. BAYERISCHE BERATUNGSSTELLE FÜR MENSCHEN MIT HEIMERFAHRUNG IN DER KIND HEIT UND JUGEND (BMH) GEHT AN DEN START! - MAXIMILIAN D I T Z J AGODA HO P P E L
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 15 I N F O ERINNERUNGSKULTUR „HEIMKINDHEITEN“ Die goldglänzende Skulptur des bayerischen Künstlers Bruno Wank zeigt einen Teddybären, der auf einem rosafarbenen Podest sitzt. Das Kunstwerk schafft einen Erinnerungsort für die Leid- und Unrechtserfahrungen der jungen Menschen von damals in den Einrichtungen der Jugendfürsorge, der Behindertenhilfe, aber auch der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Kur- und Erho lungsheime. - Eine offizielle Einweihung ist im Frühjahr 2023 geplant. Am Mittwoch, den 01.03.2023, wurde mit Spannung und Freude vor dem ZBFS-Bayerisches Landesjugendamt das Kunstwerk „In the name of“ des bekannten Künstlers Bruno Wank aufgestellt. DAS KUNSTWERK „IN THE NAME OF“ VON BRUNO WANK Abbildung 1: Kunstwerk „In the name of“ des Künstlers Bruno Wank. Bild: Jagoda Hoppel, ZBFS-BLJA. T E AM BMH
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 16 I N F O Vor diesem Hintergrund veranstaltete das ZBFS – Baye risches Landesjugendamt unter Einbindung der Referate V2 „Jugendhilfe“ und II4 „Inklusive Gesellschaft“ des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) am 26. Oktober 2022 einen Fachaus tausch für die Fachkräfte der Betriebserlaubnis ertei lenden Behörden (sog. Heimaufsicht) der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe für junge Menschen. Ziel der eintägigen Veranstaltung war es, sich gemeinsam dem Thema „Inklusive Ausrichtung von Angeboten der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Bayern“ zu nähern und damit verbundene Fragestel lungen und Lösungsansätze zu erörtern. Teilgenommen haben rund 30 Fachkräfte der Regierungen aus den Sachgebieten 13 „Jugend und Soziales“. Dieser Artikel skizziert die zentralen Ergebnisse der Tagung. - - - - Inklusive Kinder- und Jugendhilfe – aktuelle Entwicklungen und Perspektiven Für die Entwicklung hin zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe hat der Gesetzgeber ein zeitlich gestuftes Verfahren zugrunde gelegt: • Stufe 1 (10. Juni 2021) Die Verankerung der Inklusion als Leitgedanke in der Kinder- und Jugendhilfe zieht sich durch die gesamte Systematik des SGB VIII und spiegelt sich in zahl reichen gesetzlichen Neuregelungen wider, wovon bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Vielzahl umzu setzen sind. - - Hierzu zählen bspw. die Neuregelungen des § 10a Abs. 3 SGB VIII und des § 36b SGB VIII, die darauf abzielen, dass beteiligte Leistungsträger enger und verbindlicher zusammenarbeiten. Hinzu kommen die Neuregelungen des § 8 Abs. 3, 4 SGB VIII, des § 9a SGB VIII und des § 10a Abs. 1, 2 SGB VIII, die vor sehen, dass Kinder, Jugendliche und ihre Eltern bzw. Personensorgeberechtigten im Hinblick auf mögliche Leistungen – auch anderer Hilfesysteme – verbind lich und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form beraten werden. - - • Stufe 2 (01. Januar 2024) Junge Menschen mit einer (drohenden) Behinderung und ihre Eltern bzw. Personen- und Erziehungsbe rechtigten haben gemäß § 10b Abs. 1 SGB VIII Anspruch auf unabhängige Unterstützung und Begleitung durch eine Verfahrenslotsin oder einen Verfahrenslotsen. Dies gilt nicht nur für die Antrag stellung, sondern auch für die Verfolgung und Wahr nehmung von Leistungen der Eingliederungshilfe. Die Verfahrenslotsin bzw. der Verfahrenslotse unterstützt darüber hinaus das örtlich zuständige Jugendamt bei der Zusammenführung der Leistun gen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in seinem Zuständigkeitsbereich (vgl. § 10b Abs. 2 SGB VIII). - - - - • Stufe 3 (01. Januar 2028) Darüber hinaus werden bereits jetzt die Weichen gestellt, dass die Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne BehinderunI NK L U S I ON INKLUSIVE AUSRICHTUNG VON ANGEBOTEN DER STATIONÄREN KINDER- UND JUGENDHILFE IN BAYERN Mit dem Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) wurde die Inklusion als Leitgedanke in der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich verankert. Verbunden ist damit insbesondere die Zielsetzung, perspektivisch Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen zu leisten (sogenannte „inklusive Lösung“). Die inklusive Lösung erfordert dabei nicht nur einen grundlegenden Perspektivwechsel aller beteiligter Akteurinnen und Akteure beider Systeme (Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe für junge Menschen). Neben den komplexen Herausforderungen im Kontext Kosten und Zuständigkeiten geht sie auch mit einer notwendigen konzeptionellen Neuaus richtung von Angeboten für die vielfältigen Zielgruppen junger Menschen und ihren unterschiedlichen Hilfebedarfen einher. -
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 17 gen zuständig wird. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass dies zuvor ein Bundesgesetz im Einzelnen regelt. Die entsprechenden Regelun gen sollen in der 20. Legislaturperiode verankert werden (vgl. BMFSFJ, - https://bit.ly/41xqX1T, zuletzt abgeru fen am 19.01.2022). - Zunächst ist festzuhalten, nicht alles ist dabei neu: Die Kinder- und Jugendhilfe hatte bereits vor Inkrafttre ten des KJSG Aufgaben für alle jungen Menschen zu übernehmen: So bspw. in Kinderschutzverfahren gem. § 8a SGB VIII, bei Inobhutnahmen gemäß § 42 SGB VIII und im Kontext von Genehmigungsverfahren gemäß § 1631b BGB. Gleichwohl zeigen Rückmeldungen aus der Praxis, dass diese Aufgaben oftmals nur zurückhal tend umgesetzt wurden bzw. werden und für die Um setzung erforderliche Fachkenntnisse häufig (noch) nicht in ausreichendem Maße vorhanden waren bzw. sind. Diese Lücke setzt sich auf struktureller Ebene fort: So zeigt eine Umfrage der Sondierungsarbeitsgruppe „Her ausforderungen im Zusammenhang mit einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe“ des Bayerischen Landesju gendhilfeausschusses, dass zum Stand 01.02.2022 nur 20 % der beteiligten Jugendämter in Bayern, die eine „AG 78“ gebildet haben, in diesem Rahmen auch eine regelhafte, strukturelle Kooperation zwischen Eingliede rungshilfe - - - - - - 1 und Jugendamt verorten. Was diese bereits vor KJSG bestehenden Aufgaben und Anforderungen anbelangt, besteht demnach sowohl auf Einzelfall- als auch auf struktureller Ebene noch deutlich sichtbarer Entwicklungsbedarf. Viel Bewegung ist dagegen in der Umsetzung des Verfahrenslotsen gemäß § 10b SGB VIII – insbesondere auch aufgrund des Bayerischen Modellprojekts „Verfah renslotsen in der Kinder- und Jugendhilfe“ - 2 – zu beob achten: - Mit § 107 Abs. 1 SGB VIII eröffnet der Bundesgesetz geber den Kommunen die Möglichkeit, bereits vor dem 01.01.2024 Verfahrenslotsinnen bzw. Verfahrenslot sen einzuführen. Diese Möglichkeit wurde in Bayern aufgegriffen und das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) stellte zur Erpro bung, vorzeitigen Umsetzung und Erarbeitung landes weiter fachlicher Empfehlungen für den Zeitraum vom 01. Oktober 2022 bis zum 31. März 2024 Mittel für ein Modellprojekt bereit. Ziel des Modellprojekts ist es, - - - - offene Fragen zu klären und unterschiedliche konzepti onelle Ansätze aus zehn Modellstandorten in der Praxis zu erproben. - Bis im Jahr 2028 schließlich die neuen Regelungen der dritten Umsetzungsstufe Gültigkeit erlangen, bleibt noch viel zu tun: • Die Klärung von Fragen um die Erweiterung des Tä tigkeitsbereichs der Kinder- und Jugendhilfe im Zuge der Inklusion und dem damit verbundenen, enormen Fachkräftebedarf, - • die Notwendigkeit, neue Berufsgruppen für die Kin der- und Jugendhilfe zu erschließen, - • das Implizieren und Verorten neuer Kenntnisse, Fä higkeiten und Fertigkeiten in der Kinder- und Jugend hilfe, - - • der Aufbau neuer Kooperationsnetzwerke und • das Durchdenken und Klären neuer Schnittstellen stellen dabei nur einige der drängenden inhaltlichen Themen für die Jugendämter und leistungserbringenden Träger dar. Für die Betriebserlaubnis erteilenden Behörden bei den Regierungen in Bayern dürften vor allem folgende Fragestellungen „Musik“ beinhalten: • Wie kann heimaufsichtliche Tätigkeit in verständli cher, nachvollziehbarer und wahrnehmbarer Form erfolgen? - • Kann eine Vereinheitlichung heimaufsichtlicher Tätigkeit im Bereich der (teil-)stationären Einrichtun gen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Einglie derungshilfe für junge Menschen gelingen und ist dieser Zustand erstrebenswert? - - • Wie sieht eine inklusive Betriebserlaubnis aus? Deutlich wird bereits jetzt, dass es nicht möglich ist, einfach ein System im anderen aufgehen zu lassen, son dern dass durch das Zusammenführen zweier bislang unabhängiger Leistungssysteme mit jeweils eigener Logik künftig ein vollkommen neues System entstehen wird. - I N F O 1 Umfasst sind hierbei sowohl überörtliche Träger der Eingliederungshilfe – in Bayern die Bezirke – als auch Leistungserbringer. 2 Weitere Informationen unter: https://bit.ly/3ZCl7La, zuletzt abgerufen am 23.02.2023.
MITTEILUNGSBLATT 01-2023 18 I N F O Stationäre Angebote für junge Menschen – Gemein samkeiten und Unterschiede - In Bayern bestehen derzeit rund 11.900 Plätze3 in statio nären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 34 SGB VIII. - Grundlage für die Ausgestaltung dieser Angebote bilden die fachlichen Empfehlungen zur Heimerziehung gem. § 34 SGB VIII – Fortschreibung, Beschluss der Bayeri schen Landesjugendhilfeausschusses vom 11.03.2014. - 4 Die Empfehlungen beschreiben die fachlichen Stan dards, die bei der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen nach § 34 SGB VIII (auch i. V. m. §§ 35a, 41 SGB VIII) zu beachten sind, und dienen – angepasst an die Erfordernisse des Einzelfalls – als orientierender Maßstab für den Hilfeverlauf. Sie richten sich sowohl an Jugendämter als auch an Einrichtungen und Träger der stationären Erziehungshilfe. Gleichzeitig beschreiben die Empfehlungen die Grundlagen der staatlichen Aufsicht für den Schutz von jungen Menschen in Einrichtungen gemäß §§ 45 ff. SGB VIII (Betriebserlaubnis erteilende Behörden). Grundlage für die Ausführungen zur Einrich tungsstruktur, wie Vorgaben zu betrieblichen Rahmen bedingungen der Einrichtungen und zum Einsatz von Personal, bilden dabei insbesondere die Vorgaben des Rahmenvertrags gemäß § 78f SGB VIII mit den zugehö rigen Anlagen und Anhängen. - - - - 5 In der Eingliederungshilfe bestehen derzeit ca. 3.170 Plätze6 in stationären Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung – im Vergleich zur Kinder- und Jugendhilfe eine deutlich geringere Zahl.7 Grundlage für die Ausgestaltung bilden hier die „Richt linien für Heilpädagogische Tagesstätten, Heime und sonstige Einrichtungen für Kinder und Jugendliche und junge Volljährige mit Behinderung – Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 28. Oktober 2022“. - 8 Die Richtlinien legen nach Art. 44 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) die Mindestvor aussetzungen für erlaubnispflichtige Einrichtungen nach § 45a SGB VIII fest, die Kinder oder Jugendliche mit Behinderung ganztägig oder für einen Teil des Tages regelmäßig betreuen und daher der staatlichen Aufsicht nach §§ 45 bis 48a SGB VIII unterliegen. - Bezogen auf die genannten Grundlagen stationärer Angebote für junge Menschen wurden im Diskurs um Transferbedarfe zwischen den Systemen Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe insbesondere folgende Aspekte herausgearbeitet (Aufzählung nicht abschließend): Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten: • Zunächst ist festzuhalten, dass § 1 SGB VIII – un abhängig von einer gegebenenfalls bestehenden Behinderung – für alle jungen Menschen gilt. - • Gesetzliche Grundlage für die Erteilung einer Betriebserlaubnis sind die §§ 45 ff. SGB VIII – un abhängig davon, ob es sich um eine Einrichtung für Minderjährige in der Kinder- und Jugendhilfe oder in der Eingliederungshilfe handelt. - • Vor diesem Hintergrund sind auch die konzeptionel len Anforderungen an den Betrieb einer Einrichtung weitgehend vergleichbar, bspw. hinsichtlich der Beschreibung der Zielgruppen und deren Bedarfe. - • Die Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII schließt seit jeher alle Kinder und Jugendliche ein und fällt in die Zuständigkeit der örtlichen öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe. • Auch wenn in der Praxis häufig (noch) zu kurz kom mend, so schließt der Leistungsanspruch der Eltern im Kontext §§ 27 ff. SGB VIII seit jeher auch Eltern eines Kindes mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung ein. - 3 Eigene Erhebung des ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt auf Grundlage der Rückmeldungen der Regierungen zum Stichtag 01.02.2023. 4 Download unter: https://bit.ly/3Y8Vctk, zuletzt abgerufen am 23.02.2023. Weitere Grundlagen: • Handlungsempfehlungen „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) – Umsetzung der §§ 38, 45 ff. SGB VIII im Arbeitsfeld der Betriebserlaubnis erteilenden Behörden in Bayern“, Download unter: https://bit.ly/3Zowbv9, zuletzt abgerufen am 23.02.2023. • Fachliche Empfehlungen zum betreuten Wohnen für junge Menschen im Sinne sonstiger betreuter Wohnformen gemäß § 34 und § 41 SGB VIII; Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 14. November 2017, Download unter: https://bit.ly/3EIksQ4, zuletzt abgerufen am 23.02.2023. 5 Siehe Anhang A: Rahmenleistungsvereinbarung für stationäre Einrichtungen Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfe und Hilfen für junge Volljährige, An hang C: Personalausstattung der Einrichtungen, Anhang D: Pädagogische Regelversorgung in der Heimerziehung nach § 34 SGB VIII, Anlage 2.1: Qualitätsan forderungen in der teilstationären und stationären Jugendhilfe. - - 6 Eigene Erhebung des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales auf Grundlage der Rückmeldungen der Regierungen zum Stichtag 01.01.2023. 7 Umgekehrt überwiegt die derzeitige Anzahl von ca. 17.400 teilstationären Plätzen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen gegenüber den ca. 5.600 Plätzen gemäß § 32 SGB VIII in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erheblich. 8 Download unter: https://bit.ly/3SxUSmL, zuletzt abgerufen am 23.02.2023.
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