MITTEILUNGSBLATT 01-2023 19 Unterschiede: • Aus rechtlicher Perspektive liegen stationären Hilfen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe und stationären Hilfen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit den Sozialgesetzbüchern VIII und IX unterschiedliche gesetzliche Grundlagen und Leis tungstatbestände zugrunde. - • Strukturell betrachtet liegen im System der Kinder und Jugendhilfe sowohl die ordnungsrechtliche als auch die leistungsrechtliche Zuständigkeit beim ört lichen öffentlichen Jugendhilfeträger (Jugendamt). Dagegen liegt in Bayern im System der Eingliede rungshilfe die ordnungsrechtliche Zuständigkeit bei der jeweiligen Regierung, während die leistungs rechtliche Zuständigkeit beim jeweiligen Bezirk verortet ist. - - - - • Die Festlegungen von Rahmenbedingungen für die Angebote folgt unterschiedlichen Logiken. Dies wird bspw. an den unterschiedlichen Grundlagen für die Berechnung der jeweils erforderlichen Personal ausstattung deutlich: Während in der Kinder- und Jugendhilfe auf Grundlage von Konzeption und Zielgruppe sowie der Orientierungswerte im Anhang C des Rahmenvertrags gemäß § 78f SGB VIII eine konstante Personalausstattung für die stationären Angebote festgelegt wird, so erfolgt die personelle Ausstattung in Angeboten der Eingliederungshilfe für junge Menschen stets in Abhängigkeit der jeweiligen Hilfebedarfsgruppe der betreuten jungen Menschen und erfordert ständige Anpassung und Flexibilität. Mit Ausnahme der Hilfebedarfsgruppen 3 und 4 liegt dabei die personelle Ausstattung in stationären Kinder- und Jugendhilfeangeboten in der Regel über der in stationären Angeboten für junge Menschen mit Behinderung. - • Neben einer gewissen Schnittmenge zwischen beiden Systemen gestalten sich die Zielgruppen sta tionärer Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe zum Teil sehr heterogen. Die Diversität der unterschiedlichen Zielgruppen in bei den Systemen geht oftmals mit vollkommen unter schiedlichen Bedarfen der jungen Menschen, die in diesen Angeboten leben und betreut werden, einher. - - - • Wenngleich mit der Sozialpädagogischen Diagnose in Verbindung mit der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII und der Bedarfsermittlung gemäß § 118 SGB IX so wie dem Gesamtplanverfahren gemäß § 117 SGB IX in beiden Systemen Instrumente und Vorschriften zur Fallsteuerung im Einzelfall etabliert sind, so unter scheiden sich diese Instrumente in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und Umsetzung (noch) erheblich. - - • Trotz der in § 1 SGB IX geregelten Zielsetzung, Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohten Menschen Leistungen zukommen zu lassen, „um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“, wirkt die Historie des Nachteilsausgleichs für das Individuum aufgrund seiner Behinderung bis heute in stationäre Angebote der Eingliederungshilfe für junge Men schen hinein. - Der Aspekt des Nachteilsausgleichs unterscheidet sich deutlich von der in § 1 SGB VIII hinterlegten Zielsetzung der Kinder- und Jugendhilfe: Diese legt ihren Fokus auf die Verwirklichung des Rechts jedes jungen Menschen „auf Förderung seiner Entwick lung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. - Diese unterschiedlichen Blickwinkel werden ins besondere auch im Diskurs um die professionelle Haltung der betreuenden Fachkräfte beider Systeme deutlich. - Um in inklusiv ausgerichteten Angeboten sowohl jungen Menschen aus der Kinder- und Jugendhilfe als auch jun gen Menschen aus der Eingliederungshilfe gerecht zu werden, ist vor dem Hintergrund der oben dargelegten Überlegungen ein besonderes Augenmerk auf folgende Aspekte zu legen: - I N F O Im Mittelpunkt stehen die jungen Menschen. Auch in inklusiv ausgerichteten Angeboten ist der Bedarf des Einzelfalls stets zu berücksichtigen. Bei der Planung inklusiv ausgerichteter Angebote sollten daher unter anderem folgende Fragestellungen handlungsleitend sein: • Können die unterschiedlichen Bedarfe der Ziel gruppen in diesem Angebot gedeckt werden? - • Welche Vorteile ergeben sich in dem inklusiv ausgerichteten Setting für die betreuten jungen Menschen? • Welche Nachteile und Risiken bestehen gegebe nenfalls? - • Schutzkonzepte müssen auf die unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichtet werden. Dies setzt eine entsprechende Risikoanalyse voraus, die unter anderem auch die unterschiedliche Wehrhaftigkeit der jungen Menschen berücksichtigt. • Beteiligungskonzepte und Beschwerdemöglich keiten müssen für alle in dem Angebot betreuten jungen Menschen verständlich, nachvollziehbar und wahrnehmbar ausgestaltet werden. -
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