MITTEILUNGSBLATT 03-2023 11 B E R I C H T E Angereichert mit wissenschaftlicher Expertise wurde die Fachtagung darüber hinaus durch einen Vortrag von Sarah Ehlers, Deutsches Institut für Jugend- und Familienrecht, der sich mit der Profilschärfung und Abgrenzung des Verfahrenslotsen im Verhältnis zu anderen (Beratungs-)Angeboten beschäftigte. Der Vortrag ging sowohl auf Schnittstellen und Unterschiede zu Angeboten im Rahmen des SGB VIII wie z. B. die Beratung gem. § 10a SGB VIII als auch des SGB IX („Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“) sowie die Offene Behindertenarbeit ein. Bilanzierend lässt sich bei einer Kontextualisierung des § 10b SGB VIII in der Landschaft der Beratungs- und Unterstützungsangebote feststellen, dass sowohl durch das Bundesteilhabegesetz als auch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (junge) Menschen mit Behinderung verstärkt Unterstützung bei der Wahrnehmung (potenzieller) Rechtsansprüche erfahren. Dabei birgt die Ausdifferenzierung der Unterstützungsangebote sowohl stärkendes Potenzial für die Leistungsberechtigten, als auch die Gefahr der Unübersichtlichkeit aufgrund von Doppel- und Mehrfachstrukturen. Für Verfahrenslotsinnen und -lotsen bedeutet das, eine enge Vernetzung mit anderen (Beratungs-)Stellen mit ähnlichem Auftrag und/ oder Zielgruppe zu priorisieren, um die eigenen Aufgaben konstruktiv zu erfüllen und u. a. den Zugang zum individuell passenden Angebot für junge Menschen mit Behinderung und deren Familien zu begleiten. Verfahrenslotse und örtliche Zuständigkeit Der produktive Umgang mit der örtlichen „Allzuständigkeit“ des Verfahrenslotsen in der Praxis stellte eine inhaltliche Frage dar, die im Rahmen der Fachtagung aufkam und an verschiedenen Stellen immer wieder kontrovers diskutiert wurde. Hintergrund ist, dass § 10b SGB VIII nicht von den Regelungen der örtlichen Zuständigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. §§ 86 ff. SGB VIII) erfasst wird. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der Verfahrenslotse weder eine Aufgabe noch eine Leistung gem. § 2 SGB VIII darstellt. Da auch die weiteren Regelungen der örtlichen Zuständigkeit gem. §§ 87 - 88a SGB VIII nicht auf den Verfahrenslotsen zutreffen, bleibt dessen örtliche Zuständigkeit mit der Folge einer „Allzuständigkeit“ ohne gesetzliche Regelung. Auch im Modellprojekt erfolgt im Einzelfall die Begleitung und Unterstützung von jungen Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe wegen einer Behinderung oder wegen einer drohenden Behinderung geltend machen oder bei denen solche Leistungsansprüche in Betracht kommen, sowie deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigten, die nicht aus dem Zuständigkeitsbereich des örtlichen Trägers der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe stammen. Dabei stellt diese Konstellation im Moment allerdings einen vergleichsweise kleinen Anteil von 5 % dar, während die überwiegende Mehrheit (93 %) der einzelfallbezogenen Arbeit in Fällen erfolgt, in denen die Anfragen von Personen aus dem räumlichen Bereich der Tätigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe kommen (vgl. Abb. 3). Aufgabe des beim örtlichen Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe verorteten Verfahrenslotsen, ist entsprechend der Gesetzesbegründung junge Menschen und deren Familien auf Wunsch (langfristig) durch das komplexe System der verschiedenen Sozial- leistungsträger zu begleiten und eine zeitnahe und bedarfsgerechte Leistungsgewährung zu befördern.1 Dabei bedeutet die bestehende Allzuständigkeit des Verfahrenslotsen für junge Menschen und ihre Familien im Einzelfall eine niedrige Zugangshürde vergleichbar dem Zugang zur Beratung gem. § 8 Abs. 3 SGB VIII, was angesichts der vom Bundesgesetzgeber verfolgten Zielsetzung mit der Einführung des Verfahrenslotsen positiv zu beurteilen ist. Sind im Einzelfall aufgrund fehlender Kenntnisse über den jeweiligen Sozialraum, aber auch aufgrund bundesÖrtliche Zuständigkeit Fallzahl Prozent gem. §§ 86 ff. SGB VIII 192 93% abweichend §§ 86 ff. SGB VIII 10 5% unbekannt 5 2% 207 100,0% 93% 5% 2% "Örtliche Zuständigkeit" in der Einzelfallbegleitung durch den Verfahrenslotsen gem. §§ 86 ff. SGB VIII abweichend §§ 86 ff. SGB VIII unbekannt Abbildung 3: Anfragen zur Begleitung und Unterstützung im Einzelfall in Bezug zum räumlichen Bereich der Tätigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Kinder und Jugendhilfe zum 30. Juni 2023. (n=207) 1 vgl. BT-Drucksache 19/26107, S. 79f.
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