JaS Handbuch

II. Die beiden kooperierenden Systeme JaS-Handbuch 25 5. Dem Kind bzw. der oder dem Jugendlichen fällt es innerfamiliär und/oder in der Kindertageseinrichtung, Schule, Ausbildungs- oder Arbeitsstelle schwer, Regeln, Grenzen und Gesetze zu beachten. Anhaltspunkte in der Erziehungssituation: 1. E s gibt Anzeichen für häusliche Gewalt. 2. In der Familie dominieren aggressive und/oder herabwürdigende Verhaltensweisen gegenüber und/oder zwischen den Kindern bzw. Jugendlichen. 3. Die Erziehungsmethoden mindestens eines Elternteils schädigen das Kind bzw. die Jugendliche oder den Jugendlichen. 4. Die Eltern ignorieren oder bestrafen die Befriedigung alters- bzw. entwicklungsstandentsprechender Grundbedürfnisse des Kindes bzw. der oder des Jugendlichen. In den vom ZBFS-BLJA entwickelten Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen werden die oben genannten Anhaltspunkte altersspezifisch mit beispielhaften Konkretisierungen hinterlegt.13 Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung nicht zwingend das Alter ausschlaggebend ist, sondern deren Entwicklungsstand und die entsprechenden Bedürfnisse des jeweiligen Kindes bzw. der oder des Jugendlichen. Werden dem Jugendamt in einem konkreten Einzelfall gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt, so hat es eine Gefährdungs- bzw. Risikoeinschätzung im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte (Vier-Augen-Prinzip/Mehr-Augen-Prinzip) vorzunehmen. Das Jugendamt hat die Erziehungsberechtigen sowie die betroffenen Kinder und Jugendlichen in den Prozess der Gefährdungseinschätzung miteinzubeziehen, soweit deren wirksamer Schutz dadurch nicht infrage gestellt wird. Ist es aus fachlicher Sicht notwendig, so hat das Jugendamt sich einen unmittelbaren Eindruck von der bzw. dem Minderjährigen, ihrer bzw. seiner persönlichen Umgebung und der Interaktion mit den wesentlichen Bezugspersonen zu verschaffen. Dabei gilt es, sich sowohl ein Gesamtbild zu den Lebens- und Entwicklungsbedingungen, zu den Gefährdungsaspekten, aber auch zu den möglichen Ressourcen zur Abwendung drohender oder bestehender Gefährdungen zu machen. Zum Abschluss der formellen Gefährdungseinschätzung muss beurteilt werden, ob (weiterhin) eine konkrete Gefährdungssituation vorliegt sowie, ob und wenn ja, welche Unterstützungs- bzw. Schutzmaßnahmen ggf. unmittelbar ergriffen werden müssen. Werden zur Abwendung der Gefährdung Hilfen der Kinder- und Jugendhilfe für geeignet und erforderlich gehalten, so hat das Jugendamt diese den Erziehungsberechtigten anzubieten und auf eine Inanspruchnahme hinzuwirken. Werden zur Abwendung der Gefährdung andere Maßnahmen für erforderlich gehalten (z. B. Gesundheitshilfe, Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz, Eingliederungshilfen), so ist bei den Erziehungsberechtigten auf deren Inanspruchnahme hinzuwirken. Reichen diese Maßnahmen zur Abwendung der Gefährdung nicht aus oder sind die Erziehungsberechtigten nicht in der Lage oder bereit, sie in Anspruch zu nehmen, so sind vom Jugendamt weitergehende Maßnahmen (z. B. Einschaltung anderer zuständiger Stellen, Inobhutnahme, Anrufung des Familiengerichts) zu ergreifen. Auch die Träger von Diensten und Einrichtungen, die Leistungen nach dem SGB VIII erbringen, sind an der Erfüllung des Schutzauftrags der Kinder- und Jugendhilfe beteiligt. In Vereinbarungen, die zwischen Jugendamt und Träger geschlossen werden, wird beschrieben, wie die Fachkräfte in eigener Verantwortung vorgehen müssen, wenn sie Hinweise erhalten oder Beobachtungen machen, dass ein Kind bzw. eine Jugendliche oder ein Jugendlicher in ihrem oder seinem Wohl erheblich gefährdet ist. So müssen auch die Fachkräfte von freien Trägern eine Gefährdungseinschätzung vornehmen, in die sie die Erziehungsberechtigten und die betroffenen Kinder und Jugendlichen einbeziehen – es sei denn, deren Schutz würde durch diese Einbeziehung infrage gestellt. Wenn die Inanspruchnahme von Hilfen als erforderlich erachtet wird, um die Gefährdung abzuwenden, so sollen die Fachkräfte bei den Erziehungsberechtigten auf deren Inanspruchnahme hinwirken. Ohne Beteiligung des Jugendamtes können die Fachkräfte der freien Träger selbst nur Hilfen anbieten, die keine Leistungsgewährung durch das Jugendamt erfordern. Das Jugendamt muss informiert werden, falls die Gefährdung nur durch sein Tätigwerden abgewendet werden kann. 13 Zu Risiko- und Schutzfaktoren, die eine positive und gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefährden bzw. befördern, siehe auch den Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Erkennen und Handeln“ des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS), kostenfrei abrufbar unter https://www.aerzteleitfaden.bayern.de/. Anhaltspunkte in der Erziehungssituation Gefährdungseinschätzung im Mehr-Augen-Prinzip Einbeziehung der Erziehungsberechtigten und der betroffenen Kinder und Jugendlichen Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung Beteiligung freier Träger am Schutzauftrag

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