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T H EMA

bspw. Psychiatrie-Enquête aus dem Jahr 1975).

Die Datenlage ist eher schlechter als die der

Jugendhilfe. Der Bedarf an individueller, überin-

dividueller und organisationsbezogener Aufar-

beitung und wissenschaftlicher Expertise er

scheint höher.

Die Situation Betroffener in den Einrichtungen der

Behindertenhilfe und der Psychiatrie war allerdings

zunächst mangels eines Auftrags nicht im Einzelnen

Gegenstand der Beratungen des Petitionsausschus-

ses und des Runden Tisches Heimerziehung. Wie-

derum unterstützt durch Petitionen von Betroffenen

und Interessenverbänden wurde gefordert, dass den

Betroffenen der stationären Behindertenhilfe und

Psychiatrie vergleichbare Hilfen angeboten werden,

wie denen der Jugendhilfe. Dies nahm wie erwähnt

der Bundestagsbeschluss, der zu den Fonds Heimer-

ziehung geführt hat, auf. In der Folge hat eine Ar-

beitsgruppe aus Vertretungen des Bundes, der

Länder und der Kirchen Beratungen für die Errich-

tung eines Hilfesystems (Arbeitstitel: „Fonds II“)

aufgenommen und die notwendigen Vorarbeiten ge-

leistet.

Verfolgt man die Berichterstattung über die Ver-

handlungen dieses Hilfesystems, wird deutlich, wie

lange und schwierig der Verhandlungsprozess war.

Zentrale Herausforderung war, dass die Größe der

Betroffenengruppe kaum fundiert eingeschätzt wer-

den konnte. Die Verhandlungen rund um die Finan-

zierung der Stiftung gestalteten sich besonders

schwierig. Das Bundesland Bayern hat frühzeitig die

Errichtung der Stiftung unterstützt und gefordert

und sich zu seiner – auch – finanziellen Verantwor-

tung bekannt.

Während des Verhandlungsprozesses wurde u.a. ge-

prüft, ob die bereits bestehenden Fonds Heimerzie-

hung durch Zustiftungen die genannten Personen-

kreise in ihre Zuständigkeit aufnehmen könnten,

was schließlich aus Zeitgründen und finanziellen

Unwägbarkeiten wieder verworfen worden ist.

Beiträge der Wissenschaft

Im Rahmen der Verhandlungen des angedachten

Hilfesystems wurden Versuche unternommen, die

eher schlechte Datenlage mit Hilfe wissenschaftli-

cher Arbeiten zu erweitern und aufzubereiten. Der

Beitrag von Dr. Friederike Wapler (2013) liefert wert-

volle, eher qualitative Hinweise und Erkenntnisse zu

der rechtlichen und pädagogischen Situation von

Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Be-

hindertenhilfe in der BRD und DDR. Anschließend

legte Dr. Joachim Jungmann (ebenso im Auftrag

des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales)

seine eher quantitativ orientierte Machbarkeitsstu-

die (2016) vor, die die Größe der Betroffenengruppe

zu ermitteln versucht. Diese Arbeit kann als die kal-

kulatorische Grundlage der später errichteten Stif-

tung betrachtet werden. Schließlich soll auf die

Arbeit „Heimkinderzeit“ von Annerose Siebert u.a.

(2016) hingewiesen werden, die im Auftrag des

Fachverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psy-

chiatrie e.V. angefertigt und am 23.06.2016 in Berlin

vorgestellt worden ist

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.

Errichtung und Konstruktion

Zum 01.01.2017 errichteten der Bund, die Länder

und die beiden großen Kirchen die Stiftung Aner-

kennung und Hilfe (Kurzbezeichnung). Die Referenz-

modelle sind die beiden Fonds Heimerziehung Ost

und West, der Grund für die weitreichenden Ähn-

lichkeiten von Stiftung und Fonds. Die Stiftung wen-

det sich an Menschen, die als Kinder und Jugend-

liche in der Zeit vom 23.05.1949 bis zum 31.12.1975

in der Bundesrepublik Deutschland bzw. vom

07.10.1949 bis zum 02.10.1990 in der DDR in statio-

nären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der

Psychiatrie Leid und Unrecht erfahren haben und

heute noch an Folgewirkungen leiden.

Die Rechtsform der Stiftung ist wieder die einer

nicht rechtsfähigen, gemeinnützigen Stiftung des

Privatrechts in der Sonderform der Verbrauchsstif-

tung. Ihr Sitz ist in Berlin, ihre Laufzeit soll fünf

Jahre betragen (bis zum 31.12.2021), Betroffene

können sich bis zum 31.12.2019 bei den zuständigen

Anlaufstellen anmelden. Das Vermögen der Stiftung

beträgt rund 288 Mio. Euro. Wie die Fonds gewährt

die Stiftung ihre Leistungen freiwillig. Ein Rechtsan-

spruch auf ihre Leistungen besteht nicht. Wie die

Fonds hat die Stiftung einen Lenkungsausschuss

aus Vertretungen der Errichter, eine Geschäftsstelle,

nun angesiedelt in der nachgeordneten Behörden-

struktur des Bundesministeriums für Arbeit und So-

ziales in Bochum, Anlauf- und Beratungsstellen

sowie einen überregionalen Fachbeirat eingerichtet.

Die Stiftung deckt die gesamte heutige BRD ab; es

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https://www.orden.de/presseraum/downloads/tagung-leid-und-

aufarbeitung-die-katholische-heimkinderzeit-in-behindertenhilfe-

und-psychiatrie-von-1949-1975/

MITTEILUNGSBLATT

03-2017