Mitteilungsblatt 3/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 03-2020 12 Workshop 4: Interdisziplinäre Gefährlichkeits- einschätzung gemäß Sonderleitfaden (Münchner Modell) Der Workshop befasste sich mit der „Multiprofessi- onellen Gefährlichkeitseinschätzung im Sonderleitfa- den (Münchner Modell) des Amtsgerichts München“ insbesondere bei Gerichtsverfahren zu Umgang bzw. Umgangsaussetzung, Sorge- und Aufenthaltsbestim- mungsrecht. Der Workshop wurde von Heidrun Holzer vom Stadt- jugendamt München eröffnet, die den Rahmen der Kooperation zwischen Stadtjugendamt und den Münch- ner Frauenhäusern sowie den gemeinsamen Weg zur Kooperationsvereinbarung des Münchner Models vorstellte. Prof. Dr. Susanne Nothafft von der Katho- lischen Stiftungshochschule München erläuterte im Anschluss die zentralen Eckpunkte der Istanbul-Konven- tion als rechtlich verbindliche Grundlage und skizzierte, wie die bedeutsamsten Parameter daraus konkret und alltagstauglich in die Praxis übertragen werden können. Dabei wurde beispielhaft der Frage nachgegangen, wel- ches der beteiligten Hilfesysteme, auf welcher Basis, wie gefordert ist und was wer konkret umsetzen kann. Explizit wurde – wie bereits in den Vorträgen am Vormit- tag – betont, dass Kinder, die Zeugen häuslicher Gewalt werden, immer auch Betroffene sind, selbst wenn sich die Gewalt nicht unmittelbar gegen sie richtet. Für die Einschätzung, in welchem Ausmaß Kinder und Jugendliche durch häusliche Partnerschaftsgewalt be- lastet oder konkret gefährdet sind, und für die Installati- on von Schutzmaßnahmen im Sinne von Art. 31 und Art. 51 der sogenannten Istanbul-Konvention, braucht es ein differenziertes, multiprofessionelles Instrument. Für die individuelle Einordnung des Risikos und des Betroffenheitsgrades von Kindern seien vereinfachende Ampelmodelle im Regelfall nicht geeignet. Sie könnten zu verallgemeinernd wirken und die individuelle Lebens- situation eines jungen Menschen nicht ausreichend berücksichtigen. Sibylle Stotz, Frauenhaus-Mitarbeiterin des Vereins „Frauen helfen Frauen“ e.V. München, stellte für diesen Zweck den in München gemeinsam mit der Kinder- und Jugendhilfe entwickelten multiprofessionellen Fragebo- gen zur Gefährlichkeitseinschätzung im Sonderleitfaden (Münchner Modell) des Amtsgerichts München vor. Auch wenn der ausgefüllte Fragebogen nicht Bestand- teil der Gerichtsakte wird, ist er doch Grundlage für ein nachfolgendes familiengerichtliches Verfahren. z. B. für den Bericht des Jugendamtes, den Bericht des Verfah- rensbeistandes oder den Schriftsatz der anwaltlichen Vertretung. Der Fragebogen mit vierzehn Fragen gibt Informationen über fünf Risikokategorien: 1. Gewaltformen und -muster 2. Geschichte der Gewalt 3. Erschwerende Faktoren 4. Einschätzung der Gefahrenlage durch die Gewaltbetroffene 5. Risikofaktoren aufgrund des Verhaltens des Täters Die von Gewalt betroffenen Frauen füllen ihn in eige- ner Verantwortung mit professioneller Unterstützung aus und behalten ihn bei sich. So können Zug um Zug ergänzend ein umfassendes Bild von der bedrohenden Situation bei häuslicher Gewalt erstellt, Belastungen durch Mehrfachbefragungen und explizit die gewalttä- tigen Vorfälle bei Entscheidungen über Besuchs- und Sorgerecht berücksichtigt werden. Das oberste Ziel im Umgang mit dem Fragebogen orientiert sich immer daran, den Schutz von Kindern und Frauen sicherzustellen und folgt dem Grundsatz „Safety first!“. Insgesamt einhellig wurde das Instrument von allen Teilnehmenden des Workshops als positiv bewertet und die Notwendigkeit einer weiteren Erhöhung des Bekanntheitsgrades betont. Eine Blitzumfrage im Workshop zeigte, dass es in Bayern noch kaum standar- disierte Vorgehen bzgl. Gefährlichkeitseinschätzung in Sorge- und Umgangsverfahren bei Gewalt gibt und die Umsetzung der Europaratskonvention zu weiten Teilen noch ausstehen. Workshop 5: Folgen der Gewaltausübung für die Vater-Kind-Beziehung Den Impuls zum Workshop „Folgen der Gewaltaus- übung für die Vater-Kind-Beziehung“ lieferte Dr. Christoph Liel vom Deutschen Jugendinstitut in München. Er unterstrich dabei – wie andere Impulsgeber auch – den Umstand, dass Partnergewalt in der Regel auch ein Kinderschutzthema sei. In Partnerschaften gewalttätige Väter würden zudem häufiger auch Einschränkungen in ihrer Erziehungsfähigkeit aufweisen. Mit einer Kinder- schutzperspektive sei grundsätzlich ein systemischer Blick auf die gesamte Familie unter Einbeziehung gewalt- ausübender Väter zu legen. Abhängig von der Schwere der Gewaltausübung und der Fallkonstellation seien bei Partnergewalt komplexe Entscheidungen über die Vorgehensweise bei der Risikoeinschätzung und Hilfe- B E R I C H T E

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