Mitteilungsblatt 3/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 03-2020 02 T H E M A K O N F L I K T T R Ä C H T I G E W E L T A N S C H A U U N G E N Glaube oder Ideologie? Seit Beginn der Corona-Krise bekommt das Thema „Ver- schwörungstheorien“ viel öffentliche Aufmerksamkeit. Doch auch schon vorher war der Glaube an Verschwö- rungen in weiten Teilen der Bevölkerung präsent, wie die „Mitte Studie“ von 2019 zeigt: 46 % der Befragten meinten, es gäbe geheime Organisationen, die Ein- fluss auf politische Entscheidungen haben und knapp ein Viertel der Befragten meinten, Medien und Politik steckten unter einer Decke. 1 Solch ein Glaube an Ver- schwörungen ist im Regelfall nicht wirklich problema- tisch und ein gewisses Maß an Misstrauen gegenüber staatlichen Akteuren ist für eine Demokratie notwendig. Doch wenn ein Verschwörungsglaube zur unanfechtba- ren Ideologie wird, sich nicht (mehr) auf stichhaltige und überprüfbare Begründungen bezieht und gegenteilige Fakten nicht anerkannt werden, birgt eine entsprechen- de Weltanschauung Konfliktpotenzial. Diese extreme Form von Verschwörungsglauben wird daher auch als „Verschwörungsideologie“ bezeichnet. Widerspruch und gegenteilige Beweise werden als Vertuschungs- versuche der Verschwörerinnen und Verschwörer gesehen und bestätigen damit die Ideologie. 2 Werden beispielsweise verschwörungsideologische Falschinfor- mationen von einer Internetseite gelöscht, so gilt dies in der Anhängerschaft als Beleg für die Glaubwürdigkeit des Inhalts: Sie wurden gelöscht, um die Wahrheit zu vertuschen. Die inhaltliche Ausgestaltung von Verschwörungsideolo- gien kann sehr verschieden sein, doch haben die meis- ten gemeinsam, dass hinter politischen Maßnahmen oder gesellschaftlichen Veränderungen ein böser Wille von geheimen Verschwörerinnen und Verschwörern gesehen wird. Häufig wird dabei auch die Vorstellung einer Weltverschwörung bedient, die eine neue Welt- ordnung anstrebt und dabei die Souveränität der Staaten abschaffen möchte. Etablierten Medien wird misstraut, da sie als Einheit und gesteuert gesehen werden. Durch diese „Mainstream-Medien“ werde die Bevölkerung gezielt manipuliert, um „die Wahrheit“ zu verbergen. Subjektive Bewältigungsstrategie Die „Kompensationshypothese“ erklärt die grundsätzli- che Bereitschaft, Verschwörungsideologien anzuhängen mit der Erfahrung eines subjektiven Kontrollverlustes. Das Gefühl, seine eigene Umwelt nicht mehr beeinflus- sen zu können, kann sowohl persönliche Ursachen, als auch gesellschaftliche Auslöser, wie beispielsweise die Corona-Krise haben. Es scheint aber, dass das Empfin- den eines politischen Kontrollverlustes am stärksten zu einer Ausprägung beiträgt. 3 Verschwörungsideologische Behauptungen kreieren dagegen etwaige Zusammen- hänge die – vor allem in Krisenzeiten – den Umgang mit tagtäglichen Widersprüchen und Uneindeutigkeiten im gesellschaftlichen und politischen Geschehen erleich- tern und komplexe Zusammenhänge überschaubar ma- chen. Verschwörungsideologien können dem Einzelnen so als Bewältigungsstrategie in empfundener Unsicher- heit und gefühltem Kontrollverlust dienen. 4 Zusätzlich erfüllen sie eine identitätsbildende und selbstwertsteigernde Funktion, indem man sich einer Elite zugehörig fühlt, die „die Wahrheit“ erkannt habe. Ein Zugehörigkeitsgefühl entsteht, das auf der anderen Seite zur Ablehnung von Kontakten zu Andersdenken- den bis hin zur Bekämpfung von deren Überzeugungen Verschwörungsideologische Ansichten nehmen bei einigen Anhängerinnen und Anhängern Formen von radikalisierten Weltbildern an. Verbreitet werden sie besonders in sozialen Medien und Messengerdiensten. Macht sie das für junge Menschen zum Risikofaktor? JUNG, MEDIENAFFIN – ANFÄLLIG FÜR VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN IM NETZ? 1 Zick, Küpper, Berghan, S. 212f. 2 Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag vom Begriff „Verschwörungstheorie“ abgesehen, da eine Theorie im wissenschaftlichen Kontext eine begründete und falsifizierbare Aussage ist, die nachprüfbar ist und ggf. widerlegt werden kann. 3 Zick, Küpper, Berghan, S. 207f.; 4 Lamberty, S. 7

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