Mitteilungsblatt 3/2020
M I T T E I L U N G S B L A T T 03-2020 03 T H E M A führen kann. Verschwörungsideologien haben somit auch oft ausgrenzende Tendenzen und eine Teilung in die „bösen“ Absichten der Verschwörer und die „guten“ Absichten derjenigen, die es durchschaut haben wollen. Solch ein Schwarz-Weiß-Denken erhöht auch innerhalb der eigenen Anhängerschaft den Druck zur Konformität. Eine kritische Diskussion findet daher kaum mehr statt. 5 Digitale Angebote als „Brandbeschleuniger“ Auch wenn einige Anbieter von sozialen Netzwerken und Messengerdiensten mittlerweile Richtlinien gegen Falschinformationen vorgeben, sind die durch das Internet geschaffenen sozialen Parallelwelten ideale Umgebungen, um Überzeugungen und Falschinforma- tionen zu verbreiten. Es bilden sich lose Gruppen von Gleichgesinnten, die sich gegenseitig in ihrem Weltbild bestärken. Indem verschwörungsideologische Behaup- tungen von vielen Menschen geteilt werden, befinden sich die Nutzerinnen und Nutzer schnell in sog. Filter- blasen, in denen die eigene Meinung immer wieder wiederholt und bestärkt wird. Durch Algorithmen vieler sozialer Netzwerke wird dieser Effekt noch begüns- tigt. Beispielsweise stellt die Amadeu Antonio Stiftung heraus, dass die Algorithmen von YouTube der Nutzerin/ dem Nutzer nicht nur Videos mit ähnlicher Gesinnung vorschlagen, sie verweisen tendenziell auch von harmlo- sen Inhalten auf extremere Videos. 6 Einher geht damit eine Marginalisierung von abweichenden Meinungen und Kritik, was die Plausibilität und Glaubwürdigkeit der vertretenen Aussagen steigert. Potenzial zur weiteren Radikalisierung Wer durch diese digitale Filterblase überzeugt ist, dass er selbst oder Teile der Bevölkerung durch böswillige Absichten in seinen Grundrechten gefährdet sei, ist einem konstanten Bedrohungsszenario ausgesetzt, in dem für die oder den Einzelnen eine Lösung durch rechtsstaatliche Mittel oft nicht mehr möglich erscheint. Die apokalyptische Weltsicht kann Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsideologien unter Druck setzen, schnell etwas gegen den vermeintlichen Untergang ausrichten zu müssen. Gewalt kann dann als Notwehr erscheinen und zur realen und legitimen Option werden. 7 Daten der „Mitte-Studie“ zeigen, dass jene, die Verschwörungsideologien anhängen, zugleich misstrauischer gegenüber dem politischen System und weniger bereit sind, sich an demokratische Regeln zu halten. Gleichzeitig zeigen sie eine deutlich höhere Gewaltbereitschaft gegenüber anderen. 8 Gerade rechtsextreme Kreise, die sich seit jeher auf Verschwörungsideologien stützen, um antisemitische Überzeugungen zu legitimieren, nutzen deren Anzie- hungskraft im Netz, um deren Weltbild zu verbreiten. 9 Schnell findet man sich auf Plattformen, die selbst drastische Inhalte und rassistische Hetzkampagnen nicht löschen und damit Raum für eine rechtsextreme Subkultur bieten. Solch eine Atmosphäre aus Hass und Drohungen im Netz kann eine Grundlage zur ideologi- schen Rechtfertigung von Gewalttaten bieten. 10 So hing der rechtsextreme Attentäter des Anschlags in Halle der Verschwörungsideologie an, dass Jüdinnen und Juden hinter einem schrittweisen Austausch der „weißen Bevölkerung“ durch Migrantinnen und Migranten steck- ten. 11 Auch der Täter des rassistischen Terroranschlags in Hanau bezieht sich in einem Pamphlet, das er vor der Tat veröffentlicht hatte, auf Verschwörungsideologien mit rechtsextremen und antisemitischen Inhalten. 12 Anknüpfungspunkte für junge Menschen In der Entwicklungsphase von Jugendlichen kann die rebellische Selbstinszenierung, die im Kontext von Ver- schwörungsideologien gepflegt wird, attraktiv sein. Oft bezeichnen sich deren Anhängerinnen und Anhänger als „Truther“ oder „Infokrieger“ und implizieren das Eintre- ten oder den Kampf für die „unterdrückte Wahrheit“. 13 Für Jugendliche wird so ein Identifikationspotenzial in einem digitalen Raum geschaffen, indem sie sowieso große Teile ihrer Freizeit verbringen. Jugendliche nutzen digitale Angebote aber nicht nur zur Freizeitkommunikation, sondern auch zur Informa- tionssuche: Laut JIM-Studie 2019 recherchieren über die Hälfte der Jugendlichen Informationen mit Hilfe von YouTube und damit deutlich mehr als mit Online-Enzy- klopädien oder vergleichbare Angeboten. Auch Nach- richtenportale mit journalistischen Standards werden im Vergleich weniger genutzt. 14 Gerade in sozialen Netzwerken, wo seriöse Nachrichten neben Falschin- formationen aufgeführt werden, spielt die Fähigkeit, diese unterscheiden zu können, eine wichtige Rolle. Doch etwa ein Drittel der deutschen Schülerinnen und Schüler besitzen nur sehr rudimentäre computer- und 5 Lamberty, S. 8f.; 6 Amadeu Antonio Stiftung, S. 15; 7 Ebenso, S. 55; 8 Zick, Küpper, Berghan, S. 215 f.; 9 Amadeu Antonio Stiftung, S. 56; 10 Jugendschutz.net (2020), S. 19; 11 Lamberty, S. 9; 12 Norddeutscher Rundfunk; 13 Jugendschutz.net (2015), S. 2; 14 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2020), S.41ff.
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