Mitteilungsblatt 3/2020

M I T T E I L U N G S B L A T T 03-2020 06 In dem zweiten Vortrag befasste sich Prof. Dr. Barbara Kavemann (Sozialwissenschaftliches Forschungsinsti- tut zu Geschlechterfragen/FIVE Freiburg, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin) mit den konkreten Unterstützungs- und Schutzbedarfen von Kindern und Jugendlichen im Kontext von häuslicher Partnerschafts- gewalt der Eltern. Prof. Dr. Kavemann wies dabei auf wesentliche Unter- schiede von Gewaltmustern in Paarbeziehungen und deren Relevanz und Folgen für die betroffenen Kinder hin. So komme es bei dem Muster „Gewalt als systemati- sches Kontrollverhalten“, das häufig auch mit sexueller Gewalt und schwerer körperlicher Gewalt einhergehe, oft auch zu Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Beim Grundmuster „Gewalt als situatives Konfliktver- halten“, in welchem schwere Gewalt meist nur in eskalierten Trennungssituationen verübt wird, erleben die Töchter und Söhne der gewaltausübenden Eltern keine konstruktiven Problemlösungswege. Sie lernen vielmehr, dass Gewalt ein wirksames Mittel sein kann, um einen Konflikt (destruktiv) nicht zu lösen, sondern ihn kurzerhand (vermeintlich) zu beenden. Studien würden darüber hinaus zeigen, dass viele Kin- der und Jugendliche, die Gewalt in der Paarbeziehung der Eltern erleben, oft selbst körperlich misshandelt und manchmal sexuell missbraucht werden. Außerdem könnten bei anhaltender Gewalt in der Be- ziehung der Eltern die familiären Versorgungsstrukturen zusammenbrechen, was zu einer Vernachlässigungssitu- ation der Kinder führen könne. Die Trennungsphase ist die Höchstrisikophase für Frau- en und Kinder. Das größte Risiko zur gefährdenden Eskalation der Ge- walt in der elterlichen Paarbeziehung bis hin zu Tötungs- delikten oder Kindesentführung besteht für Frauen und deren Kinder in der akuten Trennungsphase der Eltern. Eine Trennung der Eltern macht neben den emotionalen Belastungen auch formale Regelungen des Sorge- und Umgangsrechts erforderlich, die zu weiteren, dramati- schen Spannungen führen können. Daher fordert Prof. Dr. Kavemann, das Risiko bei Um- gangskontakten ernst zu nehmen, sichere Lösungen für den betroffenen Elternteil und die Kinder zu finden und eine engere Kooperation des Jugendamtes und Famili- engerichts mit den Schutz- und Beratungseinrichtungen für von Gewalt betroffenen Frauen zu forcieren. Auch für multiple Problemlagen von gewaltbetroffenen Eltern – wie beispielsweise bei der Dualproblematik von Sucht und Gewalt – braucht es aus Sicht von Prof. Dr. Kavemann dringend Kooperationsbündnisse der Hilfesysteme, um bestehende Versorgungslücken zu füllen. So ist meist keine Aufnahme von Kindern bei der stationären Therapie der Eltern in Suchtkliniken und Psy- chiatrie möglich. Es besteht deswegen die Gefahr, dass ein Therapieplatz nicht angenommen wird, um das Kind nicht in der Obhut der gewalttätigen Partner zurücklas- sen zu müssen. Benötigt werden spezialisierte Unterstützungsangebote, Qualifizierung und Kooperation Prof. Dr. Kavemann warb dafür, spezialisierte, alters- gerechte und geschlechtersensible Unterstützungs- angebote für Mädchen und Jungen flächendeckend zugänglich zu machen, um sie bei der Bewältigung der erlebten Gewalt zu unterstützen und vor Ausgrenzung und Stigmatisierung zu schützen. Damit könne auch das hohe Risiko, dass die Kinder die Beziehungsmuster ihrer Eltern in ihrer eigenen Lebensgeschichte wiederholen, verringert werden. Zudem sprach sich Prof Dr. Kavemann dafür aus, an Schulen, Jugendzentren, Erziehungsberatungsstellen, usw. junge Menschen im Rahmen von Prävention über häusliche Gewalt zu informieren. Betroffene Kinder und Jugendliche gingen in der Regel davon aus, dass über die häusliche Gewalt im öffentlichen Raum nicht gesprochen werden dürfe, da dies eine „private Ange- legenheit“ sei. Dies steigere die Belastungen für die Mädchen und Jungen zusätzlich, wenn sie von Partner- schaftsgewalt selbst oder der ihrer Eltern betroffen sind, und verhindere eine zeitnahe, therapeutische Auf- arbeitung der Erlebnisse. Zusammenfassend forderte Prof. Dr. Kavemann ein- dringlich größere Anstrengungen hinsichtlich der Sensibilisierung und Qualifizierung der Fachkräfte in den professionellen Hilfesystemen, wie in Jugendämtern, Familiengerichten, Frauenhäusern, Beratungs- und In- terventionsstellen, Kliniken, Arztpraxen, Polizei, Famili- enhebammen usw. Hierbei könne auch ein im August 2020 startender interdisziplinär ausgerichteter Online- kurs zum Thema unter der Internet-Adresse https://bit.ly/2RRzvOA liefern. Neben der Qualifizierung benötige die bedarfsgerechte Unterstützung der von elterlicher Partnerschaftsgewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen eine sehr gute Kooperation und Abstimmung aller professionell befass- ten Akteurinnen und Akteure untereinander. Die gelinge dann, wenn sie auf einer Kenntnis und Würdigung der B E R I C H T E

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