Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung oder drohender seelischer Behinderung

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde 1995 um den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung erweitert. Die Eingliederungshilfe für junge Menschen mit seelischer Behinderung ist seitdem fester Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe. Dabei sollte dies ein erster Schritt sein, der geteilten Zuständigkeiten für junge Menschen mit Behinderung in unterschiedlichen Hilfesystemen zu begegnen.

Das Verfahren

Für das Verfahren einer Eingliederungshilfe nach Maßgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist von Bedeutung, dass sich die Anspruchsgrundlagen anhand von zwei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen bemessen. Neben einer drohenden oder bereits vorhandenen seelischen Behinderung setzt der Bundesgesetzgeber voraus, dass eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Zu einer festgestellten Beeinträchtigung der altersgemäßen seelischen Gesundheit muss demnach ein soziales Integrationsrisiko hinzutreten. Beide Punkte sind Bestandteil einer Eingliederungshilfemaßnahme.

Art und Ausgestaltung der Hilfe

Die Entscheidung über Art und Ausgestaltung einer Hilfe nach § 35a SGB VIII unterliegt der Hilfeplanung und Steuerungsverantwortung (§§ 36 und 36a SGB VIII) des Jugendamtes. Dabei sollen die jungen Menschen, die Eltern sowie das soziale Umfeld und die Person, die die fachärztliche Stellungnahme gem. § 35a Abs. 1a SGB VIII abgibt, an der Hilfeplanung beteiligt werden. Die Beobachtungen, Erfahrungen und das Handlungspotenzial des sozialen Umfeldes, z. B. des Kindergartens oder der Schule, sind dabei unverzichtbar.

Letztendlich hat das Jugendamt zu entscheiden, welche Informationen, Berichte und fachärztliche/gutachtliche Stellungnahmen vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden Informationen noch einzuholen sind, um im Einzelfall eine abschließende Einschätzung zur Teilhabebeeinträchtigung und zum Hilfebedarf treffen zu können. Eine Hilfeleistung sollte zeitlich und in ihrer Intensität begrenzt sein. Im Rahmen einer Fortschreibung der Hilfeplanung ist zu entscheiden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen weiter vorliegen und ob bzw. in welcher Form die Hilfe fortgesetzt wird.

Anders als bei der Hilfe zur Erziehung hat im Falle einer seelischen Behinderung der junge Mensch einen eigenständigen Leistungsanspruch, nicht der Personensorgeberechtigte. Gleichwohl wird dieser den jungen Menschen in der Regel gegenüber dem Leistungsträger vertreten. Auch junge Volljährige können im Rahmen des § 41 SGB VIII Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII erhalten, wobei in diesem Fall zusätzlich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 35a SGB VIII auch die Leistungsvoraussetzungen des § 41 SGB VIII erfüllt werden müssen.

Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, sollen nach Möglichkeit Hilfeformen in Anspruch genommen werden, in denen sowohl erzieherische Bedarfe, als auch Bedarfe im Hinblick auf bestehende bzw. drohende Teilhabebeeinträchtigungen gedeckt werden können.

Aufgaben des Landesjugendamts

Das ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt berät und qualifiziert die örtlichen Träger und Fachkräfte der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe bei der Planung und Sicherstellung eines bedarfsgerechten Hilfeangebots sowie bei der Bearbeitung besonders gelagerter Einzelfälle. Hinzu kommen die Entwicklung Fachlicher Empfehlungen bzw. anderweitiger Fachveröffentlichungen sowie die Durchführung von Fachveranstaltungen. Gerade in diesem Leistungsbereich spielt auch die Förderung interinstitutioneller und interdisziplinärer Zusammenarbeit an den Schnittstellen etwa zur Gesundheitshilfe sowie zur Schulverwaltung eine wichtige Rolle.

Das ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt als überörtlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist kein Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 SGB IX.

Fachbeiträge und Publikationen

Veröffentlichungen des Landesjugendamts

ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt (2020): 35 Fragen zur Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. (noch nicht barrierefrei)

ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt (2020): Sozialpädagogische Diagnose-Tabelle, Hilfeplan & Teilhabeplan. Arbeitshilfe zur Prüfung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls, zur Abklärung von Leistungsvoraussetzungen einer Hilfe zur Erziehung und einer Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, zur Durchführung des Hilfeplan- und Teilhabeplanverfahrens in der Praxis.

Weitere empfohlene Veröffentlichungen

BAGLJÄ (2023): Empfehlungen Qualitätsmaßstäbe und Gelingensfaktoren für die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII. 2. vollständig überarbeitete Auflage. Erfurt 2023.

LVR-Landesjugendamt und LWL-Landesjugendamt (Hrsg.) (2020): Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung. Eine Arbeitshilfe für Jugendämter. § 35a SGB VIII. Teil I: Verfahren. Köln/Münster 2020.

Deutscher Verein e.V. (Hrsg.) (2023): Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei der Umsetzung der Reformstufe 2 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Berlin 2023.

Remschmidt, Helmut.; Schmidt, Martin; Poustka, Fritz. (2017): Multiaxiales Klas­si­fi­ka­tions­schema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO, Bern, 7. Auflage 2017.

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (Hrsg.) (2007): Anpassung der Hinweise zu § 35a SGB VIII. Ministerielle Bekanntmachung. München 2007.

Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (2019): 140. Handlungsempfehlung "Anforderungen an die Jugendämter durch das Bundesteilhabegesetz", Chemnitz 2019

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) e. V. (2019): Gemeinsame Empfehlungen Reha-Prozess; Frankfurt am Main 2019.