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01.01.1976 in Kraft; danach dauerte es lange, nämlich bis zum 01.01.1989, bis mit dem
SGB V (gesetzliche Krankenversicherung) das erste Spezial-Gesetzbuch in dieser Reihe ent-
stand. Sozialpolitische Reformen waren und sind immer schwer gestaltbar. Das hat im We-
sentlichen zwei Gründe. Zum einen treffen im Falle sozialpolitischer Reformen unterschiedli-
che Auffassungen von Gesellschaft ganz unmittelbar aufeinander, weil es immer zu einer
Abwägung zwischen der individuellen Verantwortung für die eigene Lebensführung und der
staatlichen Mitverantwortung für diese Lebensführung kommt. Zum anderen geht es hierbei
immer um den Transfer von finanziellen Mitteln. Der gewünschte Erfolg dieses Transfers, sei
es die Befriedigung unabweisbarer individueller Bedürfnisse, sei es die Sicherstellung des
sozialen Friedens, sei es die Realisierung bestimmter politischer Wertvorstellungen, lässt sich
in einem direkten kausalen Sinn praktisch nicht nachweisen, so wie auch „vermiedene Kos-
ten“ nie in der Bilanz eines Jugendamtes erscheinen können. Deswegen bleibt dieser Trans-
fer auch immer für sehr unterschiedliche Wertungen und Interpretationen offen.
Geblieben ist aus dieser Zeitspanne vor 1990, in der das SGB VIII entwickelt wurde, die im-
mer deutlichere Wahrnehmung der Subjektstellung des Kindes, und dies stellt tatsächlich
einen wichtigen Fortschritt dar. Es kann aber auch nicht übersehen werden, dass seit dem
Inkrafttreten des SGB VIII der gesellschaftspolitische Impetus mehr oder weniger vollständig
entfallen ist.
Individualisierung und politische Reichweite
Jugendhilfe ist von ihrer Entstehungsgeschichte her eine auf individuelle Problemlagen aus-
gerichtete Veranstaltung, keine Massenveranstaltung. Dies gilt vor allem in dem traditionell
klassischen Bereich der Hilfe zur Erziehung, für den Jugendschutz in seinen vielschichtigen
Zuständigkeiten, für den in den zurückliegenden Jahren in den Mittelpunkt gerückten Kin-
derschutz und für das weite Feld der hoheitlichen Aufgaben. Die Inobhutnahme, zum Bei-
spiel ist auf Einzelfälle ausgerichtet, auf eine überschaubare Zahl von Einzelfällen im Jahres-
verlauf, nicht auf das massenweise Auftreten der Bedarfslage, wie zum Beispiel ganz aktuell
der minderjährigen – unbegleiteten – Flüchtlinge. Dieser Umstand holt uns heute wieder ein,
wenn es um die Versorgung einer großen Menge unbegleiteter Flüchtlinge geht, also um die
Versorgung von großen und mit einer speziellen Problematik gekennzeichneten Gruppen.
Auch die Jugendarbeit stützt sich auf das individuelle, freibleibende Engagement junger
Menschen. Selbst die Kindertagesbetreuung ist von ihren Anfängen her eine Veranstaltung,
die auf individuelle Bedarfslagen ausgerichtet war, nicht auf eine quasi verpflichtende voll-
ständige Bedarfsdeckung einer ganzen Altersgruppe.
Die sozialpädagogischen Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe haben sich, nicht zuletzt auf
der Grundlage des SGB VIII, zu hervorragenden Spezialisten der Hilfe zur Erziehung im Einzel-
fall entwickelt. Es sind professionelle Methoden und Instrumente entwickelt worden, um in