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und – gerade im politischen Entscheidungsbereich leider meist unbeachtet –

6.

ein Flickenteppich in der Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe, der sich eigentlich nur

einigen wenigen Spezialisten auf den verschiedenen Ebenen in vollständigem Umfang er-

schließt; dazu gehört auch die praktische Unmöglichkeit, für die Leistungen und den Er-

trag der Kinder- und Jugendhilfe eine seriöse Vollkostenrechnung aufzustellen (zum Bei-

spiel weil der Aufwand in einem öffentlichen Haushalt nicht zu korrespondierenden Ent-

lastungen im eigenen, sondern im fremden Haushalt führt).

Diese Betrachtung zur Grundstruktur der Kinder- und Jugendhilfe muss um einen wichtigen

Bezugspunkt ergänzt werden, der sich gleichsam wie ein roter Faden

offen oder verdeckt

durch alle Merkmale hindurch zieht, nämlich das jeweils zugrunde liegende Familienver-

ständnis, der Familienbegriff, damit eng verbunden das Verhältnis von Elternrecht und Kin-

derrecht. Die Frage nach der Kompetenz der Familien begleitet die Kinder- und Jugendhilfe

seit ihrer institutionell greifbaren Entstehung zum Ende des 19. Jahrhunderts. Kinder- und

Jugendhilfe hat keinen eigenen, originären Familienbegriff, er kommt ihr vielmehr zunächst

aus der Gesellschaft, aus den Wertsetzungen in den gesellschaftlich relevanten Gruppierun-

gen, Institutionen, Parteien usw., schließlich aus der familienrechtlichen Gesetzgebung ent-

gegen. Sie kann aus ihrem spezifischen Blickwinkel erläutern, welche Einflussgrößen familiä-

ren Lebens sich eher förderlich oder eher störend auf die Entwicklung von Kindern und Ju-

gendlichen auswirken, aber ihr kommt keine schiedsrichterliche Rolle in dieser grundlegen-

den weltanschaulichen und ordnungspolitischen Frage zu.

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Zu diesen Eigenarten der Kinder- und Jugendhilfe gab es in den vergangenen 25 Jahren na-

türlich auch immer wieder eine kritische Diskussion, und manches mag einem nicht gefallen.

Aber am Ende all dieser Diskussionen kamen nie tragfähigere Alternativen heraus, die einen

tatsächlichen Gewinn in Aussicht stellen konnten, d. h. einen Mehrwert für diejenigen, um

die es geht, nämlich die jungen Menschen und ihre Familien.

Nicht zu vergessen: Es hat sich um diese Grundstruktur herum natürlich eine spezifische Ju-

gendhilfekultur entwickelt, mit einem breiten Konsens über „essentials“ der sozialpädagogi-

schen Arbeit, über zweckmäßige Abläufe, über eine gemeinsame Sprache usw. Sie dient der

Identifikation der Akteure in diesem System und hebt es gleichzeitig gegenüber anderen

Systemen heraus. Im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit eines sozialen Systems erscheint es

geradezu fahrlässig, diesen Sachverhalt zu vernachlässigen oder für irrelevant zu halten.

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Dieses an sich großflächige Thema kann hier nicht weiter vertieft werden. Es besteht eine gewisse Neigung, die Familien

aus dem Blickwinkel der Kinder- und Jugendhilfe, und heute auch zunehmend aus dem Blickwinkel der Politik als defizitäre

Einheiten zu betrachten, die nicht mehr in der Lage sind, die Kinder ohne Unterstützung erzieherischer Art auf ein eigen-

ständiges Leben vorzubereiten, und weniger als Experten ihrer eigenen Entwicklung. Andere Auffassungen halten daran

fest, dass Familien prinzipiell nicht defizitärer geworden sind, dass sich aber ihre primären Funktionen im Verhältnis zur

sozialen Umwelt und Gesellschaft verändert haben.