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man heute fast schon schmunzeln; die Arbeitslosigkeit stieg damals auf 2,1 Prozent (1967),

ein Wert, den wir heute schon als Wert für Vollbeschäftigung ansehen.

Die Geisteswissenschaften waren in dieser Zeit im Wesentlichen von der sogenannten Kriti-

schen Theorie und der Auseinandersetzung mit ihr beherrscht, jedenfalls was die großflächi-

ge öffentliche Diskussion anbelangt. Diese Diskussion kam auch in der Jugendhilfe, speziell in

der Jugendarbeit an, und zwar in einer anhaltenden Diskussion über die Notwendigkeit einer

emanzipatorischen Jugendarbeit, wie sie seinerzeit etwa von Giesecke und Mollenhauer

formuliert wurde

15

, oder in der Forderung nach einer dezidiert antikapitalistischen Konzepti-

on von Jugendarbeit, wie sie von Liebel und Lessing gefordert wurde.

16

Klaus Mollenhauer formulierte 1969 in seinen „polemischen Skizzen“ zu Erziehung und

Emanzipation: „Emanzipation heißt die Befreiung der Subjekte – in unserem Falle der Her-

anwachsenden in dieser Gesellschaft – aus Bedingungen, die ihre Rationalität und das mit ihr

verbundene gesellschaftliche Handeln beschränken." Er führt dann sechs Widersprüche auf,

in denen sich die Jugend bewegt und an deren Aufhebung die Erwachsenengeneration wenig

Interesse hat, darin u.a.:

„4. Der Widerspruch zwischen ökonomischem Interesse (und emanzipatorischem! R.S.) Bil-

dungsinteresse ...

5. Der Widerspruch zwischen politischer Funktion der allgemeinen Bildung und ihrem fak-

tisch unpolitischen Charakter ...“

17

.

Dazu – etwas kontrastierend und gesellschaftspolitisch nicht mehr anstößig – aus den vielen

Bildungsdefinitionen der jüngeren Zeit das Bundesjugendkuratorium: „Bildung ist als der

umfassende Prozess zu verstehen, in dessen Verlauf alle Kräfte mit dem Ziel angeregt wer-

den, sich die Welt anzueignen und die Persönlichkeit zu einer sich selbst bestimmenden In-

dividualität zu entfalten.“

18

Diese Betrachtung muss noch um einen wichtigen Gesichtspunkt vertieft werden: Aus der

Kritischen Theorie heraus gewann die Frage nach dem erkenntnisleitenden Interesse bzw.

dem handlungsleitenden Interesse eine zentrale Bedeutung

19

. In unserem Sachzusammen-

hang geht es um die Frage, wer an einer bestimmten Entwicklung der Kinder- und Jugendhil-

fe welches Interesse hat, und wie dieses Interesse definiert wird. Eine solche Diskussion er-

schiene zum Beispiel im Hinblick auf die stattgefundene Diskussion um den weiteren Ausbau

der frühkindlichen Bildung dringend erforderlich. Wer hat an diesem Ausbau welches Inte-

15

Publizistischer, begrifflich aber noch durchaus konventioneller Ausgangspunkt dieser Diskussion war wohl Müller, C.

Wolfgang/Kentler, Helmut/Mollenhauer, Klaus/Giesecke, Hermann: Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie.

München: Juventa Verlag 1964. Dezidiert „emanzipatorisch“ dann Giesecke, Hermann: Die Jugendarbeit. München: Juventa

Verlag 1971.

16

Vgl. Lessing, Helmut/Liebel, Manfred: Jugend in der Klassengesellschaft, Marxistische Jugendforschung und antikapitalis-

tische Jugendarbeit, München: Juventa Verlag 1974.

17

Mollenhauer, Klaus: Erziehung und Emanzipation. Polemische Skizzen. München: Juventa Verlag 1969.

18

Ingrid Mielenz, Bundesjugendkuratorium: Bildung fängt vor der Schule an! Zur Förderung von Kindern unter sechs Jahren.

Bonn: 2004, Seite 8.

19

Siehe zum Beispiel Habermas, Jürgen: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. TB edition suhrkamp 287. Frankfurt am

Main: 1968.