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resse? Dass das Interesse der Wirtschaftsverbände an der frühkindlichen Bildung anders ge-

lagert ist als das Interesse der (Klein-)Kinder selbst, muss nicht weiter verwundern. Jedenfalls

ist bei kritischer Betrachtung das Interesse an der möglichst ungeschmälerten Erwerbstätig-

keit der Eltern nicht zwingend identisch mit dem Interesse der (Klein-)Kinder, möglichst viel

Zeit mit ihren Eltern zu verbringen. Das Bundesjugendkuratorium hat 2004 auf diese Prob-

lematik hingewiesen

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, ohne dass es zwischenzeitlich gelungen wäre, frühkindliche Bildung

heute ausschließlich aus der Interessenlage von Kindern heraus zu formulieren und auch zu

bezahlen. Mehr noch: Nach der heutigen „political correctness“ geht es überhaupt nicht, die

Forderung nach einer Ausweitung der frühkindlichen Bildung kritisch unter dem Gesichts-

punkt des „handlungsleitenden Interesses“ zu hinterfragen, während die Kritische Theorie

mit der Frage nach dem handlungsleitenden Interesse gerade die Ideologie in Wissenschaft

und Politik entlarven wollte. Da haben sich doch Zeiten geändert.

Wir können diese Problematik der „handlungsleitenden Interessen“ heute ganz aktuell in der

Debatte um die Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge verfolgen. Die Wirtschaftsverbände un-

terstützen die derzeitige

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Politik einer mehr oder weniger unbegrenzten Aufnahme von

Flüchtlingen natürlich nicht aus humanitärem Interesse, sondern ganz offen aus einem Inte-

resse zur Behebung des (aus demographischen Gründen) absehbaren

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Fachkräftemangels.

Wir hätten heute eine ganz andere Diskussion, d. h. eine ganz andere Interessenlage, wenn

der Arbeitsmarkt gesättigt wäre und damit die Zuwanderung schon rein quantitativ in die

Beschäftigungslosigkeit führen würde, auch unabhängig von der Frage, wie viele Zuwanderer

ab wann in den deutschen Arbeitsmarkt tatsächlich integriert werden können. Die Wirt-

schaftskrisen in den vergangenen Jahrzehnten haben ja nicht zu einem Aufschrei der Wirt-

schaftsverbände geführt, humanitäre Zielsetzungen nicht aus dem Auge zu verlieren, son-

dern geradewegs zu einer fortwährenden Kritik am Sozialstaat, der mit seinen Mitteln (Ju-

gendsozialarbeit) versuchte, jungen Menschen ohne Aussicht auf berufliche Eingliederung in

den 1. Arbeitsmarkt mit all den Projekten der beruflichen Förderung wenigstens im 2. und 3.

Arbeitsmarkt irgendwie über die Runden zu helfen. Es könnte also schon angemessen sein,

wenn sich die Akteure der Kinder- und Jugendhilfe bei ihrer Beteiligung an der politischen

Diskussion auch immer wieder diese handlungsleitenden Interessen vor Augen führten, und

ihrerseits mit dem gleichen Selbstbewusstsein ihre Interessen zur Geltung brächten.

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Vor diesem Hintergrund also und eingebettet in eine gesellschaftspolitisch außerordentlich

unruhige Zeit, im politischen Bereich gekennzeichnet durch heftigste ideologische Auseinan-

dersetzungen, entwickelte sich der mühsame Reformprozess des Kinder- und Jugendhilfe-

rechts, der nach mehreren Anläufen dann auch erst 1989 zum Erfolg führte. Die Konzeption

einer Zusammenführung aller sozialrechtlich relevanten Bestimmungen in ein Sozialgesetz-

buch hatte ab 1969 Gestalt angenommen, auch dies mit einer langwierigen Geschichte. Das

SGB I, das die rechtliche Grundkonstruktion des Sozialgesetzbuches beinhaltet, trat am

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Ingrid Mielenz, a.a.O.

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Sachstand Ende 2015!

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Ob angeblich oder tatsächlich, kann hier dahingestellt bleiben

.

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Um nicht missverstanden zu werden: Es ist nichts Unanständiges, seine Interessen in der Öffentlichkeit, in den Medien, in

der Politik zu vertreten. Wir sollten nur hellhörig sein, wenn dabei das Wohl der Kinder beschworen wird.