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Exkurs: Die Grenzen betriebswirtschaftlicher Modelle
Eine grundlegende Anfrage an die bis dato entwickelten Jugendhilfestrukturen waren die
Aktivitäten, die Anfang der 1990er Jahre von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Ver-
waltungsvereinfachung in Köln (KGST) ausgingen. Deren Berichte machten Furore: 1993 die
Berichte über das „neue Steuerungsmodell“ und über die „Budgetierung“ als „dezentrale
Ressourcenverantwortung“, und 1994 der Bericht über die „Outputorientierte Steuerung der
Jugendhilfe"
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. „Ausschreibung“ und „Wettbewerb“ waren Stichworte für nachfolgende,
aber damit eng zusammenhängende Aktivitäten, die allesamt von der Überlegung ausgingen,
dass sich mit Hilfe von Organisationsregeln und Strukturelementen, wie sie in der Wirtschaft,
in gewerblichen Unternehmen entwickelt wurden, die Effektivität der öffentlichen Verwal-
tung qualitativ entscheidend steigern, und sich damit auch das Problem der Ressourcen-
knappheit bewältigen ließe. Diese Prozesse können hier zwar nicht im Einzelnen dargestellt
und analysiert werden. „Wir“, das heißt die Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe, haben in
der Tat auch einiges lernen können. Aber die Erwartungen, aus diesen Prozessen würden
sich neue Gestaltungsmöglichkeiten in der grundlegenden Funktionalität und in den Grund-
strukturen der Kinder- und Jugendhilfe ergeben, haben sich nicht erfüllt. Die – im Wortsinn:
rücksichtslose
–
Adaption von betriebswirtschaftlichen Modellen in die öffentliche Verwal-
tung, in unserem Falle in die Jugendhilfeverwaltung, scheitert immer an zwei entscheiden-
den Punkten: nämlich erstens daran, dass die „Produkte“, welche die öffentliche Verwaltung
produziert, nicht beliebig gestaltbar, sondern imWesentlichen vorgegebenen sind (zum Bei-
spiel die Heimerziehung – man kann sie, weil teuer, nicht einfach abschaffen), und dass
ebenso bestimmte Verfahren vorgegeben sind (zum Beispiel die Beteiligung bei der Aufstel-
lung des Hilfeplans, die sich oft nicht „rechnet“). Mit anderen Worten: Diese Vorgaben mö-
gen ökonomisch fragwürdig sein, sie sind aber vom Gesetzgeber ausdrücklich so gewollt.
Und die öffentliche Verwaltung ist von der Verfassung her gehalten, gesetzestreu zu han-
deln.
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2 Gesellschafts- und sozialpolitische Aspekte zur Geschichte des SGB VIII
Das politische Umfeld der Entstehungsgeschichte des SGB VIII – ein Blick in die Zeitgeschichte
Es lohnt sich, im Hinblick auf vergangene und zukünftige Entwicklungslinien des Kinder- und
Jugendhilferechts das politische Umfeld zu betrachten, aus dem heraus dieses SGB VIII ent-
standen ist. Die Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts war Teil des Reformprozes-
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Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGST), Köln. Alle zitierten Berichte sind dort herausge-
geben worden. Siehe auch: Bayerisches Landesjugendamt (Hg.): Das Jugendamt als Dienstleistungsunternehmen. Von der
outputorientierten Steuerung zum Total Quality Management. Red.: Robert Sauter. München 1995.
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An dieser Stelle ist – aus aktuellem Anlass – auch eine Replik in Richtung Betriebswirtschaft notwendig: Es wäre uns viel-
leicht schon geholfen, wenn die Gesetzestreue auch wieder Einzug in den Ethik-Kodex der Führungseliten in den großen
Industrieunternehmen halten würde. Und vielleicht müsste man an den Hochschulen in den Fachbereichen Betriebswirt-
schaft über ein qualifiziertes Lehrfach „Ethik“ nachdenken.