Grenzen der Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen bei Körperschmuck und Kos­metik

Seit jeher sind Männer und Frauen bereit, zugunsten einer ver­meint­lichen Steigerung ihrer Attraktivität vielerlei Opfer und Mühsal in Kauf zu nehmen. Es gibt dafür eine außergewöhnlich große Palette unter­schiedlicher Mög­lich­keiten. Bei Kindern und Jugendlichen spielt bei der Gestaltung des Äußeren auch der Wunsch nach Abgrenzung und nach Zugehörigkeit zur Peer Group eine ganz besondere Rolle. Seit den 1990er Jahren haben deshalb Tattoos und Piercings bei Minderjährigen erheblich an Popularität gewonnen. Der Zenit dieser Entwicklung scheint überschritten, geweitete Ohrlöcher (Flesh Tunnel) erleben allerdings derzeit eine Blütezeit.

An die Jugendämter und das BLJA werden von besorgten Eltern – aber auch von Gewerbetreibenden – immer wieder Fragen herangetragen, ob es nach dem Jugendschutzgesetz Verbote oder zumindest alters­bedingte Einschrän­kungen für Piercing, Tätowierung und kosmetische Behandlungen gibt.

1. Piercing und Tätowierung als Körperschmuck

Der Gesetzgeber hat die Problematik von Körperschmuck im Jugend­schutz­gesetz bislang nicht aufgegriffen. Einschlägig ist allerdings das Strafrecht. Beim Herstellen eines Piercings und eines Tattoos handelt es sich tat­bestands­mäßig um gefährliche Körperverletzungen (§ 224 StGB), da hier gefährliche Werkzeuge zum Einsatz kommen. Das Gesetz sieht daher eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Eine wirksame Einwilligung rechtfertigt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Die Einwilligung kann jedoch unwirksam sein, wenn sie aufgrund von Willensmängeln erteilt worden ist (Täuschung, Drohung, Zwang) oder sittenwidrig ist (§ 228 StGB).

Auch eine unzureichende Aufklärung (Verletzung der Aufklärungs­pflicht) über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken führt zur Unwirksamkeit der Einwilligung. Die Rechtsprechung der Strafgerichte hat für kosmetische Operationen Grundsätze aufgestellt, die auf die Anfertigung von Tattoos und Piercings übertragbar sind. Soweit der Eingriff nur einen ästhetischen Zweck hat, werden erhöhte Anforderungen an die Aufklärung über eventuelle nachteilige Folgen gestellt (BGH, 05.07.2007, NStZ 2007, 340). In zivilgerichtlichen Verfahren werden Schmerzensgeldansprüche häufig auf unzureichende Aufklärung gestützt. So verlangte das LG Koblenz (24.01.2006, MedR 2007, 738), dass der Piercer bei einem Brustwarzenpiercing insbesondere über das Risiko von Infektionserkrankungen aufzuklären habe. Der Hinweis, dass es sich um einen Eingriff in die Unversehrtheit des Körpers handle und zu gesundheitlichen Schäden führen könne, wurde als unzureichend angesehen. Auch das AG Neubrandenburg (10.10.2000, NJW 2001, 902) verlangte, dass über alle möglichen Folgen eines Zungenpiercings, insbesondere Thrombose, Embolie, Lymphknotenentzündungen und neurologische Ausfallerscheinungen, aufzuklären sei.

Wie bereits eingangs ausgeführt, kommt es bei Minderjährigen auf die hinreichende Einsichtsfähigkeit in die Folgen des Eingriffs an. Maßgeblich sind also vor allem das Alter und die Reife der Jugendlichen. Dabei ist auch zu fragen, ob der oder die Minderjährige sich nicht in erster Linie durch Gruppendruck oder medial vermittelte Schönheitsideale zu dem Eingriff genötigt sieht. Dabei ist die Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen.

Angesichts dieser weitgehenden Anforderungen ist zu bezweifeln, dass Minderjährige in der Lage sind, die mit dem Eingriff verbundenen schwerwiegenden Gesundheitsgefahren vollumfänglich zu erkennen. Gerade bei Piercings können sich sowohl aus dem Eingriff selbst als auch aus mangelnder Wundversorgung und Hygiene nach dem Eingriff schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen ergeben. Es werden insbesondere lebensgefährliche Infektionen, Thrombosen, Embolie, Narbenbildung und neurologische Ausfallerscheinungen genannt. Auch kommt es in Einzelfällen zu allergischen Reaktionen.

Der Minderjährige muss zudem in der Lage sein, mögliche berufliche Nachteile einordnen zu können. Bei Tattoos ist zu berücksichtigen, dass das Schönheitsideal eines Jugendlichen und der damit verbundene Wunsch nach einem Tattoo starken Schwankungen unterworfen ist. Ein Tattoo bleibt jedoch das ganze Leben lang sichtbar und kann, falls es sich nicht dort befindet, wo es üblicherweise von Kleidung verdeckt wird, das berufliche Fortkommen in vielen Branchen erheblich erschweren. Dasselbe gilt für die jüngst in Mode gekommenen auffällig geweiteten Ohrlöcher.

Ferner sollte der Minderjährige auch in der Lage sein, die über das bloße Entgelt hinausgehenden finanziellen Auswirkungen des Eingriffs zu erkennen. Für die hohen Kosten der Entfernung eines Tattoos mit einem Laser, die nicht immer gelingt, muss der Betroffene später selbst aufkommen. Der Gesetzgeber hat zudem 2007 in der gesetzlichen Krankenversicherung Leistungsbeschränkungen bei Selbstverschulden für Behandlungen eingeführt, die durch medizinisch nicht indizierte ästhetische Operationen, Tätowierungen und Piercings verursacht worden sind. § 52 Abs. 2 SGB V lautet: Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierteästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.

Strafgerichte haben sich bislang wenig mit der Wirksamkeit der Einwilligungen von Minderjährigen befasst. Veröffentlicht wurde ein erstinstanzliches zivilrechtliches Verfahren, das eine Klage auf Ersatz der Kosten für die Entfernung des Tattoos und Schmerzensgeld zum Gegenstand hatte. Das AG München (Urteil 17.03.2011, NJW 2012, 2452) wies die Klage jedoch ab, weil eine 17-Jährige über die hinreichende Einsichtsfähigkeit verfüge, in ein Tattoo in Form eines koptischen Kreuzes auf der Innenseite des Handgelenks einzuwilligen.

In der Literatur ist diese Entscheidung auf Ablehnung gestoßen. So argumentiert Hauck (NJW 2012, 2398), dass bei medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen stets die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter erforderlich sei. Dies müsse erst recht für Tattoos und Piercings gelten, die ebenfalls medizinisch überflüssig seien. Ferner sei zu berücksichtigen, dass es Aufgabe der Eltern und Teil der Personensorge (§ 1626 BGB) sei, die körperliche Unversehrtheit des Minderjährigen zu schützen.

Auch beim Branding (in die Haut eingebranntes Zeichen) und den Subdermalen Implantaten (Einbringung von Gegenständen (z. B. Ringen) unter die Haut) handelt es sich um gefährliche Körperverletzungen, die einer wirksamen Einwilligung bedürfen.

Aufgrund der erheblichen Gesundheitsgefahren und der Irreversibilität (insbesondere von Tattoos) ist bei Minderjährigen die Einsichtsfähigkeit bezüglich Tattoos,Piercings und anderem Körperschmuck in aller Regel nicht gegeben. Es müssen grundsätzlich beide Eltern ihre Einwilligung erklären, da sie das Kind gemeinsam vertreten (§ 1629 BGB).

Selbst bei dem Stechen von Ohrlöchern für Ohrringe kann es zu schwerwiegenden Infektionen und Nickelallergien kommen. Bei Sport und Spiel bestehen Verletzungsgefahren. Da das Tragen von Ohrringen mittlerweile auch bei Jungen gesellschaftlich toleriert wird, wird allerdings regelmäßig davon auszugehen sein, dass 16-Jährigediesbezüglich bereits über hinreichende Einsichtsfähigkeit verfügen. Sie müssen jedoch zuvor über die Gesundheitsgefahren informiert werden.

2. Kosmetische Behandlungen

Anders als Piercing und Tattoo sind kosmetische Behandlungen wie Make-up, Haarfärben und Nagelmodellage nicht mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden. Dasselbe gilt für ein Tattoo mit Henna, das bei regelmäßigem Waschen schnell verschwunden ist. Mit kosmetischen Behandlungen gehen allerdings Gesundheitsrisiken einher. Nach der EU-Kosmetikverordnung (Nr. 2009/134 EG) sind die Hersteller daher verpflichtet, auf bestehende Gesundheitsrisiken hinzuweisen.

Falls sich das Gesundheitsrisiko trotz ordnungsgemäßer Verwendung realisiert, z. B. in Form einer allergischen Reaktion, kommt eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) in Betracht. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn der Betroffene in die Gefährdung wirksam eingewilligt hat. Auch hinsichtlich der Gesundheitsgefahren kommt es auf die Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen an. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr wirksam einwilligen können. Hierzu müssen ihnen die Gesundheitsgefahren jedoch bekannt sein. Die Kosmetikerin bzw. Frisörin ist zur Aufklärung verpflichtet.

Das Schneiden der Haare und das Feilen der Nägel ist sogar eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB), da mittels gefährlicher Werkzeuge in die körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird. Anders als bei Piercing und Tattoo ist jedoch zumeist davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche über hinreichende Einsichtsfähigkeit verfügen. Sie steht allerdings im Zweifel, wenn sich der junge Mensch einen auffallenden Glatzkopf schneiden lässt, da dann soziale Nachteile zu befürchten sind.

3. Sonnenbänke

In § 4 des Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) hat der Gesetzgeber die Regelung eingeführt, dass Minderjährigen die Nutzung von Sonnenbänken in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst öffentlich zugänglichen Einrichtungen nicht gestattet werden darf. Diese Vorschrift wurde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.2011 (1 BvR 2007/10) bestätigt. Eine Nutzung von Sonnenbänken ist Minderjährigen also auch mit Zustimmung der Eltern nicht gestattet.


Bettina Eickhoff, Dr. Markus Reipen

aus: ZBFS - Bayerisches Landesjugendamt Mitteilungblatt 1-3/2013