Empfehlungen zur Quali­fi­zie­rung des Fallmanagements für die berufliche Ein­gliede­rung arbeitsuchender junger Menschen

Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses in seiner 108. Sitzung am 09.10.2007


Vorbemerkungen

Seit der Einführung des SGB II im Jahr 2005 wird dieses neue Gesetz schrittweise verwirklicht und durch Handlungsempfehlungen und Geschäftsanweisungen der Bundesagentur ergänzt. Aus Sicht der Jugendhilfe - wie vieler anderer Akteure - kommt dabei dem Fallmanagement in den ARGEn und den optierenden Kommunen eine zentrale Bedeutung zu. Dabei stellen sich besondere Anforderungen an die Abstimmung zwischen dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe, der Agentur für Arbeit und die ARGE.

In der Praxis bestehen weiterhin deutliche regionale Unterschiede im Umgang mit den Möglichkeiten des SGB II. Dies bedeutet für die jungen Menschen häufig große Unterschiede in der Art und Qualität der erfahrenen Unterstützungsleistungen - trotz gleicher formaler Grundlagen.

Dem Landesjugendhilfeausschuss ist es deshalb ein Anliegen, für die Jugendämter und Kooperationspartner Anstöße zur Verbesserung der Praxis vor Ort zu geben, um so für flächendeckende und nachhaltige Entwicklungschancen der jungen Menschen Sorge zu tragen.


Verlässliche Formen der Kooperation

Im SGB II ist die Verpflichtung und Aufforderung zur engen Kooperation des Fallmanagements mit Partnern aus der Jugendhilfe, der Agentur für Arbeit (z. B. im Rahmen der Ausbildungsvermittlung) und anderen Organisationen bereits strukturell an mehreren Stellen verankert. In der Jugendhilfe kommt den öffentlichen Jugendhilfeträgern, z. B. im Rahmen des § 13 (4), SGB VIII, ebenfalls eine große Verantwortung für intensive Abstimmung und Kooperation zu. Daran sind auch die freien Träger der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendsozialarbeit gebunden.
In zahlreichen Fällen bestehen gut gepflegte Kontakte von ARGEn zu einzelnen Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe und teilweise gemeinsam gepflegte Netzwerke mit dem Jugendamt. Dies geschieht allerdings in der Regel in unstrukturierter Form. Meist sind die Kontakte zwischen ARGE und Agentur für Arbeit u.a. wegen bereits vorhandener persönlicher Bezüge besser ausgeprägt als zur Jugendhilfe. Die Möglichkeiten und Chancen der Kooperation zwischen dem Träger der Grundsicherung - also in der Regel der ARGE - und der kommunalen Jugendhilfe sind bisher nicht befriedigend ausgeschöpft.
Neue Formen der Kooperation entstehen in der Regel im Rahmen von Entwicklungsprozessen. Sie brauchen dafür die Bereitschaft aller Seiten, sich offen neuen Formen zu stellen und diese auszuprobieren.
Für die Kommunen stellt sich die Aufgabe, diese Entwicklungsprozesse im Sinne lokaler Verantwortungsbereitschaft anzustoßen und zu steuern.

Der Landesjugendhilfeausschuss empfiehlt:

  • Analog zu den anzustrebenden Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Träger der Grundsicherung und der Agentur für Arbeit sollen auch zwischen dem Träger der Grundsicherung und den Jugendämtern Vereinbarungen über die Durchführung gemeinsamer Aufgaben angestrebt werden.
  • Die Kooperation an der Schnittstelle zwischen dem Träger der Grundsicherung und der Agentur für Arbeit soll im Hinblick auf den Aufgabenbereich "U 25" nicht nur in Einzelfällen, sondern flächendeckend unter Berücksichtigung der besonderen regionalen Erfordernisse in regelhafter Form abgestimmt werden.
  • Die Fallmanager(innen) sind gehalten, aktiv auf Drogenberatung, Schuldnerberatung, Kindertagesbetreuung und andere unterstützende Dienste in der Region zuzugehen und sich deren Beratungs- und Unterstützungsleistungen zu sichern. Der öffentliche Träger der Jugendhilfe soll diese Bestrebungen seinerseits offensiv unterstützen.
  • Die freien Träger der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendsozialarbeit, sollen mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen in derartige Kooperationen in geeigneter Weise intensiv eingebunden werden, auch in Form von Kooperationsvereinbarungen, die deren Rollen und Aufgaben beschreiben.
  • Grundlage aller Kooperationen soll ein Arbeitsansatz sein, der Prinzipien und Arbeitsweisen der Jugendhilfe bzw. des SGB VIII berücksichtigt.
     

Frühzeitig Förderbedarfe erkennen und abgestimmte Maßnahmen einleiten

Jugendliche, die einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II zuzurechnen sind, werden auf Grund der gesetzlichen Vorgabe in § 7 SGB II ab Erreichen ihres fünfzehnten Lebensjahres vom Fallmanagement erfasst und angesprochen. Inwieweit daraus eine kontinuierliche und gezielte Begleitung bis zur beruflichen Einmündung erwächst, hängt sehr von den örtlichen Regelungen (z. B. tatsächliche Fallzahlen) und dem persönlichen Engagement der beteiligten Personen ab. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass in der Regel zwischen dem Fallmanager(in) und dem jungen Menschen eine erste Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen wird.
Der Automatismus in diesem Verfahren ist zu begrüßen, da sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein größerer Teil der jungen Menschen, deren berufliche und soziale Eingliederung gefährdet ist, aus dem Umfeld der Bedarfsgemeinschaften rekrutiert.
Im Bereich des SGB III besteht eine Kontaktmöglichkeit zu den jungen Menschen ab 15 Jahren über die Berufsberatung, deren Rahmen sich jedoch für beide Seiten unverbindlicher gestaltet.
Im Bereich des SGB VIII ist ein Regelkontakt zu Jugendlichen, die kurz vor dem Übergang von der Schule in den Beruf stehen, nicht vorgesehen. Viele Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen sind jedoch im Rahmen von bestehenden Jugendhilfeangeboten, z. B. in der Jugendsozialarbeit an Schulen oder der Tätigkeit des ASD bekannt, oder sie erhalten von dort bereits entsprechende Unterstützungsleistungen.

Der Landesjugendhilfeausschuss empfiehlt:

  • Die Fallmanager(innen) sind bereits gehalten, sich im Bedarfsfall der Leistungen und Angebote der Berufsberatung zu bedienen. Die Nutzung der dort vorhandenen Fachkompetenz wird grundsätzlich begrüßt. Ergänzend ist dazu jedoch auch ein geregelter Informationsaustausch sicherzustellen.
  • Bei besonders problematischen Fällen besteht die Möglichkeit, insbesondere das Jugendamt und Einrichtungen der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit hinzuzuziehen und auf dieser Basis eine breit abgestimmte Eingliederungsvereinbarung zu erstellen. Diese Möglichkeit soll intensiv genutzt werden. Hierzu ist es notwendig, dass sich bei entsprechenden Anfragen die öffentliche und freie Jugendhilfe mit großer Bereitschaft und Offenheit einbringt.
  • Langfristig soll vor Ort ein gemeinsames Verfahren, angelehnt an die Hilfeplankonferenz des SGB VIII, vereinbart und entwickelt werden.
  • Im Sinne der Prävention soll auch vom öffentlichen Träger der Jugendhilfe und von der Agentur für Arbeit die Zielgruppe der 15-Jährigen besonders in den Blick genommen werden. Erkenntnisse über besondere Förderbedarfe sind frühzeitig ggf. mit dem Träger der Grundsicherung oder untereinander abzugleichen und einzuleitende Unterstützungsmaßnahmen in geeigneter Weise abzustimmen.
     

Hilfe aus einer Hand

Im Zentrum der Integrationsbemühungen von SGB II, SGB III und SGB VIII stehen junge Menschen, die auf dem Weg der sozialen und beruflichen Integration Unterstützung in unterschiedlicher Intensität benötigen. Probleme entstehen meist dann, wenn der oder die Einzelne Zuständigkeitsstreitigkeiten der Sozialleistungsträger aushalten muss.
Von Fachleuten, Praktikerinnen und Praktikern wird festgestellt, dass von den Jugendlichen mit erhöhtem sozialpädagogischen und beruflichen Unterstützungsbedarf viele gut betreubar sind, wenn sie koordinierte Hilfe aus einer Hand erfahren und sich nicht zusätzlich zwischen unterschiedlichen Zuständigkeiten zurechtfinden müssen.
"Hilfe aus einer Hand" bedeutet für die Betroffenen, dass sie einen Ansprechpartner vorfinden, der neben den Leistungen in eigener Zuständigkeit auch jene Unterstützungsleistungen mitorganisiert, die von anderen Trägern erbracht werden.
Erste Ansätze der "Hilfe aus einer Hand" sind bereits jetzt vorhanden. Überall dort, wo die Jugendlichen auf engagierte Mitarbeiter(innen) treffen, denen ein entsprechender Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, werden Unterstützungsleistungen im Sinne der "Hilfe aus einer Hand" immer wieder sichtbar und die Integrationserfolge greifbar.
Im Sinne der Vermeidung von Nachteilen für einzelne Jugendliche sollten deshalb flächendeckend geeignete Modelle erarbeitet und umgesetzt werden, die die "Hilfe aus einer Hand" zum Inhalt und Ziel haben.

Der Landesjugendhilfeausschuss empfiehlt:

  • So bald wie möglich soll in jeder Region für Jugendliche unter 25 Jahren nur noch eine Anlaufstelle existieren, in der die Jugendlichen eine abgestimmte Unterstützung erhalten - ohne dabei selbst entscheiden zu müssen, aus welchem Zuständigkeitsbereich die Hilfe kommt. Zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe, dem Träger der Grundsicherung und der Agentur für Arbeit/Berufsberatung ist festzulegen, wer diese Anlaufstelle darstellt. Die Abrechnung der Leistungen ist im Nachhinein entsprechend der gesetzlichen Zuständigkeiten und des erforderlichen Unterstützungsbedarfes der Jugendlichen vorzunehmen. Die Fallzahlen müssen auf den Aufgabenzuschnitt abgestimmt sein.
  • Ergänzend soll auf kommunaler Ebene ein Verfahren vereinbart werden, das festlegt, dass ein hilfebedürftiger Jugendlicher grundsätzlich direkt an diese zuständige Stelle verwiesen wird und dann von dort alle notwendigen Leistungen zu organisieren und zu koordinieren sind. Bei notwendigen längerfristigen Begleitungsprozessen sollen die Jugendlichen von der Verantwortung für die Abstimmung entlastet werden und diese Aufgabe konstant von einer Ansprechperson wahrgenommen werden.
  • Im Hinblick auf eine möglichst hohe Kontinuität in der persönlichen Betreuung ist der vorausschauenden Personalentwicklung in den beteiligten Institutionen eine hohe Bedeutung beizumessen, damit gut geschulte und stabile Mitarbeiterteams die Garantie gleich bleibender Qualität in der direkten Klient(inn)enarbeit und in der Pflege der Kooperationsbeziehungen bieten können.
  • In diesen Anlaufstellen ist auf eine eindeutige Zuordnung zu einem persönlichen Fallmanager zu achten, dessen Aufgabenumfang eine angemessene berufliche Betreuung auch tatsächlich ermöglicht.
     

Eingliederungsvereinbarung und Sanktionen konstruktiv und qualifiziert nutzen

Die Fallmanager(innen) sind per Weisung der Bundesagentur für Arbeit und durch Vorgaben des SGB II gehalten, bereits zum Ende des Erstgespräches eine Eingliederungsvereinbarung zu erstellen und diese durch gemeinsame Unterschrift mit den Jugendlichen im Rahmen des Konzeptes "Fördern und Fordern" als verbindliche Arbeitsgrundlage zu bestätigen. Gleichzeitig ist den Fallmanager(innen)n ein Katalog möglicher Sanktionen — teilweise als zwingende Vorschrift — an die Hand gegeben. Im Sinne einer höheren Verbindlichkeit und klar erkennbarer Handlungskonsequenzen ist diese Zielsetzung grundsätzlich zu begrüßen.
Insbesondere im Hinblick auf sozial benachteiligte junge Menschen mit erhöhtem Förderbedarf ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Instrumente in einen gut abgestimmten Förder- und Lernprozess eingebunden sein müssen, der den Entwicklungsstand des jungen Menschen zum Ausgangspunkt nimmt. Die Eingliederungsvereinbarung ist dabei in erster Linie Gestaltungsinstrument in der Beziehung zu den hilfebedürftigen jungen Menschen und in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Kooperationspartner. Ein - auch in pädagogischer Hinsicht - qualifizierter Umgang mit den vorhandenen Instrumenten ist eine wichtige Basis für eine abgestimmte Zusammenarbeit mit den Maßnahmeträgern und dem zu erzielenden Integrationserfolg.

Der Landesjugendhilfeausschuss empfiehlt:

  • So weit erforderlich sind an der Erstellung der Eingliederungsvereinbarung Fachkräfte aus den anderen Sozialleistungsbereichen mit einzubeziehen.
  • Bei unklarer Lage voraussichtlich erforderlicher Unterstützungsleistungen (ggf. auch unterschiedlicher Stellen) soll nach dem Erstgespräch nur ein vorläufiger Zwischenstand festgehalten werden. Die erste Eingliederungsvereinbarung ist sinnvoller Weise erst nach Vorliegen einer Gesamtsicht zu erstellen und gemeinsam zu unterschreiben.
  • Vor allem bei jungen Menschen mit deutlich schlechterer Ausgangsbasis ist der Spielraum zur individuellen Abfassung und Ausgestaltung der Eingliederungsvereinbarung offensiv zu nutzen. Sanktionen sollten sich vor allem am aktuellen Entwicklungsstand und der Unterstützung des langfristigen Integrationserfolges orientieren. Formale Zwangsläufigkeiten sind dem gegenüber zweitrangig.
  • Die qualifizierte Erstellung und Umsetzung an den individuellen Bedarfen ausgerichteter Eingliederungsvereinbarungen erfordert neben den genauen Kenntnissen des rechtlichen Rahmens ein hohes Maß an pädagogischen Qualifikationen. Die Sicherstellung des dazu erforderlichen Fortbildungsbedarfs kann über Angebote der Arbeitsagentur ebenso wie z. B. über Fortbildungsangebote von freien Trägern der Jugendhilfe erfolgen.
  • Die gemeinsame Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen mit Kooperationspartnern aus der Region soll regelmäßig erfolgen, da sie geeignet sind, Netzwerkbildung und erforderliche Abstimmungsprozesse nachhaltig zu unterstützen.